Von Dujiangyan nach Yingxiu



6. Oktober 2018

Tags zuvor erreiche ich nach 67 Kilometer Dujiangyan. Bereits am Rande der Stadt fallen mir die breiten, künstlich angelegten Grünstreifen auf. In dieser Stadt schlängelt sich sogar ein Weg durch die Grünanlagen auf der linken Seite. China präsentiert sich mir bisher blitzeblank sauber. Kein Wunder - ganze Heerscharen von Arbeitern mit orangefarbenen Warnwesten sind tagein, tagaus mit der Pflege und Säuberung der Umwelt beschäftgt. Immer wieder scheinen sie ihre Reviere auf Unrat, Laub, Grashalme oder Steinchen abzusuchen und diese mit ihren langen Holzzangen aufzunehmen. Selbst auf Elektrorollern gehen sie ihrer Arbeit nach. Ich wechsle von der Straße auf den Parkweg und kommen an mehreren überdachten Ruheplätzen mit Bänken vorbei. Ideal zum Campen! Nach einer Stunde habe ich meine Entscheidung getroffen. Die Bank scheint breit genug, der Weg wird kaum noch von Spaziergängern oder Joggern frequentiert und die Hauptverkehrsstraße ist weit genug entfernt davon.


Kurze Zeit später stehe ich nackt unter meinem schützenden Dach, als doch noch ein Pärchen bei seinem Abendspaziergang bei mir vorbei kommt. Doch die Chinesen kennen da keine Schamgefühle und mich juckt das auch nur peripher. Das passt also. Nach der Abendwäsche mache ich es mir auf meiner Bank bequem und schlafe schon bald glücklich und zufrieden ein. Steve, der Lehrer, hatte mehrmals betont, wie sicher China sei. Und genau so fühle ich mich. Was man sich doch so alles einreden kann...

Irgendwann nachts passiert dann das Unvermeidliche. Beim Herumwälzen von einer auf die andere Seite falle ich doch von meiner Bank und schlage, gefangen in meinem Schlafsack, hart auf dem Steinboden auf. Sofort bin ich hellwach. Meiner linker Ellenbogen hat bei dem Sturz am meisten gelitten. Die gut verheilende Wunde blutet nun wieder. Meine Erste-Hilfe-Set kommt zu seinem ersten Einsatz. Mein Schlafplatz wird auf den Boden verlegt, wo ich, umringt von meinen Packtaschen, die restliche Nacht verbringe.

Am nächsten Morgen erlebe ich die verschiedenen Möglichkeiten chinesischer Reaktionen auf einen "Wildcamper" wie mich. 

1. Wahrnehmung und keine sichtbare Emotion
2. Wahrnehmung und sichtbare Freude bzw. Begeisterung

Wobei Reaktion 1 deutlich häufiger auftritt. Einen Jogger mit einem beeindruckenden Sixpackbauch ist jedoch dermaßen angetan, daß ich für mehrere Selfies mit ihm herhalten muß. Ergo sollte das mit dem "wild campen" hier in China also keine Probleme bereiten. Na, das sind doch rosige Aussichten denke ich und fahre in die Stadt zum Frühstücken.




In einem relativ neuen Restaurant, das wohl von Mutter und Sohn betrieben wird, bestelle ich eine Suppe mit Dumplings. Das sind kleine, mit Fleisch und Kräutern oder Gemüse gefüllte Teigtaschen. Kleine Maultäschchen, wenn man so schreiben will. Ich liebe die Dinger, genauso wie unsere schwäbische Leibspeise. Wie ich das mit der Bestellung mache? Auch da gibt es mehrere Möglichkeiten:

- ich zeige in besseren Restaurants auf das Bild in der Speisekarte
- ich merke mir den Namen und lerne es auswendig
- ich sehe etwas interessantes bei einem anderen Gast und deute mit dem Finger darauf
- ich habe es schon mal gegessen und ein Foto davon gemacht, das ich jetzt zeigen kann
- oder man lässt es sich auf chinesisch aufschreiben
- chinesisch Roulette spielen: auf irgend etwas in der Speisekarte zeigen, bestellen und hoffen, daß es schmeckt;-) - habe ich aber ehrlich gesagt noch nicht ausprobiert

In Chengdu habe ich Fotos von den Schriftzeichen gemacht, die "scharf" (chinesisch = la) oder "chinese spicy" für "chinesisch scharf" bedeuten. Hilft mir aber jetzt nur so weit, daß alle Chinesen lachen, wenn ich auf die Zeichen deute, da das Essen hier im Vergleich zu dem, was ich mittlerweile vertrage, sowieso nicht scharf ist.




Gestärkt pedaliere ich aus der Stadt hinaus, bewundere die gigantisch großen Bauwerke, die in der Ferne entstehen und freue mich des Lebens. Nach und nach steigt die Straße gemächlich an und der Verkehr wird weniger. Zu meinem Erstaunen halten nahezu alle Fahrzeuge einen respektvollen Abstand zu mir ein, etwas das ich in Deutschland weniger und weniger wahr genommen habe. Im Gegenteil, fast täglich wurde ich dort von LKWs. Lieferwagen und PKWs lebensgefährlich geschnitten.





Dann kommt der Zipingpu-Stausee in Sichtweite und ich fahre einige Zeit an ihm entlang ohne groß Höhe zu gewinnen.




Mir geht langsam das Wasser aus und so kehre ich vor dem ersten Tunnel ein, esse zu Mittag und fülle meine Wasser- und Keksvorräte auf. Frisch gestärkt tauche ich zum ersten Mal seit langem wieder per Fahrrad in das Dunkel ein. Nicht jedoch ohne vorher ein Rücklicht an meine Packtaschen zu befestigen und einzuschalten. Meine LUPINE Stirnlampe signalisiert, fast blendend, dem Gegenverkehr, daß mit mir zu rechnen ist.




Den Rest des nachmittags geht es auf der anderen Seite des Berges größtenteils weiter am See entlang bis ich Yingxiu erreiche. Mit meiner Aufmerksamkeit scheint es nicht mehr weit her zu sein, denn die ich übersehe Hinweisschilder, die man eigentlich nicht übersehen kann. Jedoch merke ich, daß ich Schluß machen sollte und so schaue ich mich auf einem Parplatz am Fluss lange nach einer Möglichkeit zum Campen um. Das Gelände sagt mir nicht zu und ich radel in die kleine Stadt, treffe einen chinesischen Radler und der erklärt mir lachend daß es hier unzählige Hotels gibt. Ich wundere mich gerade noch ein bischen, als auch schon die ersten Frauen schreiend und gestikulierend auf mich zulaufen. Ich beginne zu verstehen. Da steht ein Hotel am anderen. Ich frage nach dem Preis. 50 Yuan wird mir bedeutet, umgerechnet etwas mehr als 6 €. Für den Preis schaue ich mir das Zimmer an. Auf dem Weg in den ersten Stock nehme ich fischigen Essensgeruch im ganzen Haus wahr. Das Bett in meinem" Zimmer ist noch nicht gemacht. Es sieht aus wie bei Hempels unterm Sofa. Ich lehne ab. Dann halt das Nebenzimmer. Da liegt eine Frau im Bett und spielt mit ihrem Kind. Ich habe genug und gehe wieder nach unten, schwinge mich auf meinen Drahtesel, fahre in eine Nebenstrasse und überlege. Es ist noch früh am Tag und das gibt mir alle Möglichkeiten. Hier vorne am Fluß ist es deutlich ruhiger und da sind doch eigentlich auch immer die besten Adressen. So auch hier. Keine 200 Meter weiter werde ich fündig. Neues Hotel, nettes Hotelierspärchen, Ausstattung wie in Europa und eine Behindertentoilette. So nennt man in China unsere europäischen Sitzklos:-). Kostet zwar das vierfache, aber das ist es mir wert. 

Als ich am nächsten Morgen in meine Maps.me App schaue, gehen in meinem Kronleuchter sämtliche Birnen an. Ein Erdbeben hat diese Stadt vor gut zehn Jahen dem Erdboden gleich gemacht!!! Viele Chinesen besuchen bis heute Yingxiu um ihre Anteilnahme auszudrücken und mit dem hier ausgegebenen Geld die Leute vor Ort zu unterstützen. 






Es hat mich zutiefst erschüttert an diesem tragischen Ort zu sein. Meine empathischen Fähigkeiten lassen mich an solchen Katastrophenorten jedes Mal die Fassung verlieren. Das Grauen scheint greifbar. Ich meine mit jeder Faser meines Körpers zu spüren, welches Leid hier über die Menschen gekommen ist. 
Die Natur ist soviel stärker wie wir. Doch wir meinen sie beherrschen zu können. 

Wie unwissend wir Tiere der Gattung Mensch doch sind.






Ein paar Tage später erzählt mir ein Reisemanager in englischer Sprache, die hier die wenigsten verstehen, genau das, was auch im Netz nachzulesen ist:

In Fachkreisen erörtert wurde ein Zusammenhang mit der Füllung der Zipingpu-Talsperre, unter der das Hypozentrum des Bebens lokalisiert wurde.[8]

Quellen: 







Eine ganz große Bitte noch zum Schluß: Wenn ihr einen FACEBOOK-Account habt, dann bitte teilt diesen Blogartikel dort für mich. FACEBOOK ist in China GESPERRT und so kann ich meine Freunde nicht informieren.

TAUSEND DANK!!!