Viel Spaß in China;-)





Der Globus ist mein derzeitiger Aufenthaltsort, denn manchmal denke ich, ich komme in Wirklichkeit von einem anderen Planeten und man hat mich hier abgesetzt und vergessen. Anders kann ich die Differenz zwischen dem, was in der Welt passiert, wie es politisch und durch die Medien "verkauft" wird und meiner Sichtweise nicht erklären.




Gegen drei Uhr nehme ich die gut zehn Kilometer zum ehemals pünktlichsten Bahnhof in Deutschland unter meine Stollenräder. Das vollbepackte Mountainbike fühlt sich sackschwer an. Einmal abgestiegen, muß ich kämpfen, daß es nicht umkippt. Aber alles geht gut. Gegen vier Uhr erreiche ich die Bahnhofsruine. Zu meiner großen Freude kann ich bereits zu dieser Uhrzeit ein ordentliches Frühstück bekommen. Zwei Kaffee und zwei Schokoladencroissants später entdecke ich ein paar übriggebliebene Volksfestleichen, die in der großen Halle auf Ihren Zug ins schwäbische Hinterland warten, wo man, ebenso wie teilweise in Stuttgart, seit etwa zehn Jahren bayrische Lederhosen und Dirndl trägt. 

Schwäbische Leitkultur? Nein, cleveres Businessmodell, wie mir ein befreundeter Ordner auf DEM Wasen erklärt hat. Vor genau diesen zehn Jahren kam anscheinend ein Trachtenladenbesitzer aus München und hat mit einem renommierten Zeltbetreiber geträumt: was wäre, wenn Du Wasengäste in Dirndl und Lederhosen bevorzugt ins Zelt lassen würdest? Der Rest ist Geschichte. Wie beim Fussball. Beides waren früher Veranstaltungen für "das Volk" und bei "den Obrigen" eher verpönt. Heute wird in den Logen das Geld verdient. Das Volk ist nur noch für die Kulisse zuständig.

Gesättigt und von innen gewärmt, nehme ich die Querung des Milliardenlochs in Angriff, um zu den Gleisen zu gelangen. 




Dort angekommen bin ich baff erstaunt. Der Zug ist bereits zwanzig Minuten vor Abfahrt da. Nachdem ich mein Bike und mein Gepäck verstaut habe, mache ich es mir in einem nahe gelegenen Abteil bequem. In Mannheim steigt ein Pärchen in meinem Alter zu. Zielgerichtet, mit Mundwinkeln wie Mutti Merkel steuern sie auf mein Abteil zu und schauen auf die Reserviertanzeige oberhalb meines Kopfes. Bestätigend nicken sie sich gegenseitig zu. Räusper. Nur nicht sprechen. 

Genug für mich. Mit solchen Spießern will ich gar nicht das Abteil teilen. Ich stehe auf und frage: "Haben sie diese Plätze reserviert? Sorry, ich habe die Anzeige nicht gesehen". Das ganze Abteil ist leer, nebenbei bemerkt. Aber in diesem Land muss ja alles seine Ordnung haben. Auch morgens um sechs in einem halbleeren Zug. 

"Ja, aber wir wollten sie nicht vertreiben" kommt schon der nächste Klassiker aus dem Schmuckkästchen der deutschen Unhöflichkeitsfloskeln. "Das könnten sie auch gar nicht" antworte ich dem verdutzten Mann im vorbei gehen und verlasse diesen vormals angenehmen Ort.

Den Rest der kurzen Fahrt verbringe ich bei meinem Bike. Ist sowieso mein Lieblingsplatz in Zügen. Da muß ich auch nicht die ganzen Wichtigtuertelefonate zwangsweise mit anhören.



Am Flughafen läuft wieder alles wie geschmiert. Obwohl der Verkaufsschalter dieses Jahr in einer anderen Halle ist, finde ich ihn nach kurzer Zeit, erstehe für 25 € einen nagelneuen Fahrradkarton und beginne damit, mein Bike zu zerlegen. Danach geht es zum Einchecken. Mit Hochspannung sehe ich dieser Prozedur entgegen und werde enttäuscht. Alles geht ratzfatz. 

Vor Wochen hatte man mir beim Anmelden des Bikes noch telefonisch mitgeteilt, daß ich einen Flug aus China heraus benötigen würde, sonst würde man mich nicht mit nach Chengdu nehmen. Da ich aber China nach acht Wochen per Rad verlassen wollte und das nicht ausreichend war, hatte ich noch einen Flug von Kunming nach Bangkok für 50€ gebucht, den ich nie in Anspruch nehmen werde. 

Nun ist alles kein Thema, denn die Dame am Checkin hat andere Sorgen. Ein riesengroßer Hund soll mitfliegen und das scheint so gar nicht ihr Fall zu sein. Glücklicherweise ist ihr Kollege nicht an mir interessiert und als ich die Gesamtsituation blitzschnell erfasst habe, nutze ich die Gelegenheit und spreche die Dame an. Sie wiederum ist heilfroh, mich anstelle des Hundes einchecken zu dürfen und Kollege Kotzbrocken bekommt den Hund aufs Auge gedrückt. Armes Tier.

Meine Packtaschen wiegen 25 Kilo. Bleibt nur noch das Bike. Wir finden eine Waage. Oder besser gesagt zwei nebeneinander. Ich wuchte den Bikekarton mittig darauf. Auf dem Display der rechten Waage erscheint eine "5". Das macht mich sprachlos. Doch die Dame vom Checkin weiß mehr: "dann sind die 30 Kilo ja jetzt voll".

Na klar! 25 + 5 = 30. Soviel Freigepäck habe ich. Daß mein Bikekarton inklusive allen Dingen, die ich so reingepackt hatte, locker 25 kg gewogen hat, sei nur nebenbei bemerkt. Erst einige Zeit später, auf dem Weg zum Abfluggate wird mir klar: ich mußte ja die 150€ für das Bike gar nicht bezahlen! 

ICH LIEBE HUNDE;-)




Von Frankfurt geht mein Flug zunächst nach München. Das hat zur Folge, daß jeder beim Sicherheitscheck oder Dutyfreesop danach gefragt wird, ob man zum Oktoberfest wolle. "Nein" lautet meine Antwort, "ich komme aus Stuttgart. Wir feiern gerade das Volksfest". Darauf die Verkäuferin: "auf DIE Wasen wollte ich auch schon lange mal..."

In München landen wir zu spät, doch wider Erwarten ist das Umsteigegate nach Bangkok gleich um die Ecke. Kurz bevor wir die Thai-Airways-Maschine besteigen dürfen, wird vor meinen Augen noch einmal deutsche Gründlichkeit, gepaart mit weltmeisterlicher Höflichkeit zum Besten gegeben. Eine alte, sehschwache Thai will Unterstützung brim Einsteigen in die Maschine und hat einen deutschen Mann mittleren Alters damit beauftragt, dies dem Personal vor Ort mitzuteilen. Der angesprochene deutsche Thai Airways Mitarbeiter schaut in eine Liste und wird nicht fündig. 

"Aber sie haben ihren Unterstützungswunsch nicht angemeldet!" sagt der Mitarbeiter und beugt sich zu der alten Frau neben mir und deute auf seine Liste.

Die alte Frau versteht nur Bahnhof.

"Sie hätten das vorher anmelden müssen!"

Jetzt wird es langsam peinlich für diesen Empathietrottel. Soll er die Frau doch einfach dort sitzen lassen, wo sie jetzt sitzt, oder? Dann stirbt sie dort in ein paar Tagen, Wochen, Monaten, Jahren. Oder sie wieder heimschicken. Ich meine, jeder der Wartenden, weiß zu diesem Zeitpunkt, daß er ihr helfen wird. Wozu also dieses unwürdige Schauspiel?

Ich meine, das sind genau die Dinge, warum ich denke, von einem anderen Planeten zu kommen. MENSCHLICHKEIT! 

Im Geiste bekommt er gerade seine letzte Chance von mir auf dem Silbertablett gereicht. Und er nutzt sie unwissentlich. Unter größtem Mißmut und mit der unnachamlichen Miene des deutschen Oberlehrers macht er das Unmögliche möglich: die alte Frau bekommt Unterstützung beim Einsteigen! Ohne es vorher angemeldet zu haben! 

Sorry, aber wenn man wie ich, seit vier Jahren für sechs Monate in Asien lebt, dann fallen einem Dinge hier auf, die die Menschen hier zum Teil nicht wahr haben wollen. Darüber schreibe ich. Weil ich es auch anders kenne. Wer so etwas mit Bürokratie, Organisation, Sicherheit oder sonst etwas begründet, der sollte mal in ruhiger Stunde in sich gehen und versuchen wie ein Mensch zu denken und nicht wie ein Mitarbeiter. Denn Menschen sind wir ein Leben lang...





Der Flug nach Bangkok ist angenehm. Ich kann mein rechtes Bein ausstrecken, nur blöderweise schmerzt seit neuestem mein linkes Knie. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. In Zukunft benötige ich wohl links Beinfreiheit. Nichts ist so beständig wie der Wandel. Anica.

In Bangkok mache ich mich direkt auf den Weg zu meinem Anschlussgate und staune nicht schlecht über die riesige Menschenmasse, die in die gleiche Richtung möchte. Gut eine Stunde geht es zäh Schritt für Schritt vorwärts. Dann habe ich es geschafft. Im Flugzeug nicke ich direkt ein und wache erst beim Landeanflug wieder auf. 

Chengdu erwartet mich gegen 14 Uhr am 2. Oktober mit dem derzeit üblichen chinesischen Nieselregen, grauem Himmel und knapp 20 Grad. Das Grossraumtaxi kostet mich 350 Yuan (43,75€) in die Stadt. Im Hostel angekommen erfahre ich den üblichen Preis: 60 Yuan...(7,50€). Wie gewonnen so zerronnen;-)

Mein Hotelzimmer ist groß und sauber. Ich dusche ausgiebig und schlafe bis gegen 20 Uhr, dann genieß ich mein erstes chinesisches Essen und ein Bier. Bis jetzt ist alles traumhaft gelaufen. Fast zu traumhaft.
Satt, zufrieden und hoffnungsfroh schlafe ich ein.




3. Oktober 2018

Mit großer Vorfreude begebe ich mich zum Frühstück und genieße es in aller Ruhe. Im Anschluß daran packe ich ganz entspannt mein Bike aus und baue es zusammen. Alles klappt wie am Schnürchen. Eine Testfahrt in die Stadt folgt. Im angesagtesten Pub in Chengdu trinke ich ein Bier. Noch ist dort nichts los, doch die Getränkekarte klingt viel versprechend. Zu gerne hätte ich die "irische Autobombe" probiert. 




Weitere Ziele sind das beeindruckende tibetische Viertel und die Innenstadt von Chengdu. Trotz vierzehn Millionen Einwohnern geht es sehr ruhig und besonnen zu. Geradezu ansteckend. Die ganze entspannte Lebensweise tut mir sehr gut. Das fühle ich bereits nach wenigen Stunden.





Abends starte ich eine weitere Testfahrt und schau mir einige der beleuchteten Brücken, sowie das Musicviertel an.




4. Oktober 2018

Direkt nach dem Frühstück verlängere ich um eine Nacht. Weil mir danach ist. Weil ich es kann. Weil ich "Zeit habe";-). Danach geht es nochmal ans Finetuning des Bikes. Plötzlich steht ein Chinese mittleren Alters vor mir, stellt sich vor und macht mir ein unschlagbares Angebot: seine Englischklasse mit acht Schülern betuchter Eltern sollen mir Fragen stellen dürfen und dafür bin ich zum Lunch eingeladen. Bingo! Für Essen mache ich fast alles. Besonders für chinesisches. 

Schon steht der erste Knirps vor mir und stellt mir die Frage: "Excuse me Sir! May i ask you a question? What is your favourite color?" - "My favourite colour is red" - lautet meine Antwort. "And what is your hobby?"...

Die Zeit vergeht im Flug und es macht richtig Spaß mit den Mädels und Jungs. 

Eine Lady aus Kapstadt ist auch mit zum Lunch eingeladen, doch unsere Kennenlernphase läuft nicht ganz so geschmeidig ab, wie sie vielleicht gehofft hat? Sie hatte mich zunächst gefragt, ob sie sich zu mir setzen darf, was ich bejaht habe. Danach habe ich weiter geschraubt und sie fing an nach Wespen zu schlagen. Ich meine, nach Wespen zu schlagen kann man sich doch abgewöhnen, wenn man weiß, daß das die Tierchen wild macht. Aber nein, man schlägt nach Wespen. Auch so ein Ding, das ich nicht verstehe. Also schaue ich einmal fragend zu ihr rüber, aber sie schlägt weiter wie wild um sich. Ich schaue ein zweites Mal fragend in ihre Richtung. Der blinde Aktionismus geht weiter. Na denn. Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen. 

Dann werden wir an den reich gedeckten Tisch gebeten. Wespenlady vergißt ihre Zigarettenschachtel - ich trage ihr das Ding hinterher. Danke? Kein Wort in diese Richtung erreicht meine zarten Lauscherchen. Damit ist Miss Kapstadt endgültig aus meiner Wahrnehmung verschwunden und ich widme mich den wirklich schönen Dingen dieser Welt: chinesisches Essen und Schokoladencrepes:-)





Noch einmal taucht Wespenlady aus der Versenkung auf. Steve, der Lehrer, fragt sie nichtsahnend: "Dirk is a really handsome guy, isn't he?" - "i don't know..." lautet ihre Antwort, die mich innerlich fast zerreisst:-)))

Die Zeit scheint nur so zu rasen.  Abennds lernen wir dann gemeinsam von einer supernetten Tasmanierin wie man Sandwichs belegt.




5. Oktober 2018

Am nächsten Morgen werde ich von Steve zweimal zum Frühstück eingeladen. Zunächst in ihrem Hotel und da das wohl allen nicht so recht mundet, geht es anschließend noch ins benachbarte Restaurant, wo wir a la carte essen. Warm natürlich. Dann heißt es für mich endgültig Abschied nehmen von Steve, den Kids und Chengdu.



Es dauert fast 35(!) Kilometer bis ich endlich den letzten Stadtteil von Chengdu hinter mir gelassen habe. Diese Stadt ist so unglaublich gross und dennoch sensationell einfach zu radeln. Vorausgesetzt man glotzt nicht nur auf sein Navi, sondern macht sich ein Gesamtbild der Lage und prägt sich ein, wo man die beiden Male abbiegen muß. Gesagt, getan. Noch einmal am Zentralplatz vorbei, Mao "tschüß" gesagt und der Rest ist geradeaus.



In China hat man den Platz dazu und intelligente, volksnahe Planer. Fahradspuren, genauso breit wie für die CO2-Schleudern, Kreuzungen, so groß wie Marktplätze und nicht fluchende, rücksichtsvolle Verkehrsteilnehmer. 

Mit Ausnahme der kleinen Menschen in ihren unförmigen, großen Autos. Die benehmen sich in ihren Pseudopanzern oft wie im Krieg. 

Seit Jahren beobachte ich näher kommende Autos. Das gehört zu meiner Überlebensstrategie als Jäger. Ich muß mein Umfeld immer im Auge haben. Das kann mich sonst mein Leben kosten. Deswegen fallen mir vielleicht auch Dinge auf, die für andere gar nicht die Bedeutung haben. 

Gefühlt sind es hier in Asien zu 99% SUVs denen ihre Fahrbahnbreite nicht ausreicht. Selbst fette LKWs halten ihre Spur. Nur den kleinen Menschen in ihren großen Autos scheint die Fähigkeit zur Einschätzung ihrer Position abhanden gekommen zu sein. Solange bis ich auf sie zuradle. Also Richtung Mittelstreifen. Denn das ist das Lieblingsrevier der kleinen Menschen in den großen Autos. Da füllen sie sich sicher und weit genug weg vom Fahrbahnrand. Warum auch immer sie das tun. Vielleicht haben sie auch Angst vor dem Fahrbahnrand hier in Asien. Ich habe das aber auch schon in Europa beobachtet. In Thailand habe ich als Radler schon unheimliche Geräusche von dort vernommen. Ich meine aus dem Gebüsch. Einmal habe ich auch einen zwei Meter langen Lizard davonspringen sehen. Der hatte vor mir Radler Angst. Also warum fahren die kleinen Menschen in ihren großen Autos auf dem Mittelstreifen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß wenn ich direkt auf sie zuradle, sie plötzlich alle wissen wo der Fahrbahnrand ist. Vielleicht gibt es dafür auch so ein Art Assistenzsystem. Gibt es ja mittlerweile für fast alle unsere geistigen Fähigkeiten. Man muß nicht mehr rechnen können, man muß keine Telefonnummern mehr wissen, man muß nicht mehr Gas geben, man muß nicht mehr einparken können, man muß nicht mehr wissen in welcher Himmelsrichtung München liegt, weil man ja vielleicht gar nicht mehr weiß wo man gerade ist. Und weil das alles so ist und wir schon alles haben, gibt es noch die Werbung, die uns sagt was wir als nächstes brauchen. Das würden wir sonst ja auch nicht wissen. Okay, man könnte es googeln. Und dann das kaufen, was alle kaufen. Oder das Restaurant besuchen, das alle gut finden. Dann macht man bestimmt nix falsch. Wäre das nicht eine tolle Welt? 

Jedenfalls hupen diese unförmigen Autos dann immer - vielleicht machen das aber auch die kleinen Fahrer darin - und dann verlassen sie den Mittelstreifen Richtung Fahrbahnrand. Fast jedes Mal denke ich dann, daß die Angst vor mir bekommen haben, weil ich auf sie zugefahren bin. Das muß man sich mal vorstellen: die Riesenechsen hauen vor uns Radlern ab, obwohl sie ein Heimspiel haben und die kleinen Menschen in ihren großen Autos ebenso. Das heißt doch dann: 

Wir sind die wahren Könige der Straße!!!





Eine ganz große Bitte noch zum Schluß: Wenn ihr einen FACEBOOK-Account habt, dann bitte teilt diesen Blogartikel dort für mich. FACEBOOK ist in China GESPERRT und so kann ich meine Freunde nicht informieren.

TAUSEND DANK!!!