17. Oktober 2017
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum ich an diesem Morgen wie am Tag zuvor um sechs Uhr beim Frühstück sitze.
Vegetarian Omelette mit Kaffee heißt meine neue, morgendliche Geheimwaffe. Das liegt nicht zu schwer im Magen und schmecken tut es mir auch. Selbst der Kaffee ist hier oben durchaus genießbar.
Wie mir zuvor beschrieben wurde, muss ich anfangs nur eine kurze Rampe mit Nepalpflastersteinen hoch schieben, danach ist der ganze Vormittag eine mehrstündige Mountainbiketour. Kaum merklich, gewinne ich auf einer sandigen, mit Steinen durchsetzen Piste langsam an Höhe. Mal geht es eine ganze Weile sanft bergauf, dann warten wieder längere Abfahrten auf mich. Lange fahre ich links des Marsyangdi entlang, bevor ich gegen Mittag schließlich die Seiten wechsle.
Mit großer Freude registriere ich nach und nach die Veränderungen in der Natur um mich herum. Nadelholzwälder tauchen vor mir am Horizont auf, die Felsformationen werde wieder bizarrer und zahlreicher, der Fluß links von mir wird mehr und mehr tief unten im Tal in sein enges Bett gepresst.
Umgebungen wie ich sie liebe. Ich kann mich kaum satt sehen daran. Halte immer wieder an, staune und versinke einfach im Augenblick. Die Architektur der Natur ist so unglaublich vielfältig, facettenreich, detailverliebt, farbintensiv, überraschend - einfach grossartig!
Nach einiger Zeit muß ich erneut die Flußseite wechseln. Kaum habe ich die
Stahlbrücke überquert, wandert mein Blick nach rechts.
Mir bleibt schier der Atem weg.
Was für eine Wand! Wie von Menschenhand geschaffen. Eine Riesenwoge, die zu Stein erstarrt ist. Das wäre eine Herausforderung für Skater oder einen todesmutigen Mountainbike Freerider. Wie hoch die sein mag? Was da wohl im Winter bei Schneefall passiert? Minutenlang stehe ich da, schaue hoch und stelle mir die verschiedenen Szenarien vor.
Weiter geht es in Serpentinen stetig nach oben. Durch duftendes Gehölz gelange ich in ein Hochtal. In einem kleinen Dorf raste ich. Esse einen saftigen Apfel und schaue einer uralten Nepalesin zu, wie sie sich in Zeitlupe aus ihrem Stuhl erhebt.
In unendlich langsamen Bewegungen kämpft sie sich Zentimeter für Zentimeter durch das Gartenlokal. Steigt unter allergrößten Anstrengungen zwei Stufen zur Straße hinunter und überquert die Straße so unvorstellbar langsam und mühsam, daß ich fast körperliche Schmerzen dabei empfinde.
Doch dann gewinnt der Respekt vor dieser Frau in mir die Oberhand. Das Bild brennt sich in mein Gehirn. Sollte ich am Thorong La Pass oder irgendwann in meinem Leben der Meinung sein, daß ich keine Kraft mehr habe, dann will ich an diese alte Frau, ihren unbändigen Willen, ihre Zähigkeit und ihre Lebensfreude denken. Und dann werde ich es schaffen. Weiter. Immer weiter. Schritt für Schritt. Egal wie langsam. Egal mit welch´geringem Fortschritt. Nur nicht aufgeben. Niemals. Nicht solange man noch atmet. Nicht so lange man noch am Leben ist.
Nach dem Dorf geht es kurz abwärts, dann quere ich den Fluß ein letztes Mal für heute auf einer schmalen Brücke. Beim Blick zurück bietet sich mir eine neue Perspektive auf die "Woge".
Durch eine absolute Traumlandschaft nähere ich mich Upper Pisang, wo ich gleich im ersten Guesthouse Quartier beziehe. "Room with attached bathroom". Zimmer mit Bad. Nettes Detail: in der Holzwand der Dusche befindet sich ein Loch auf Guckhöhe zur Brause des Nebenzimmers. Sachen gibt´s...
Krönender Abschluß des Tages: Karl der Australier ist ebenfalls hier abgestiegen und wir haben viel Spaß zusammen an diesem Abend.
Zu vorgerückter Stunde, als Karl sich Richtung Bett verabschiedet und die anderen Touris stumm auf ihre Smartphones glotzen, scharen sich immer mehr nepalesische Guides und Porter um mich und meinen Computer.
Meine Bilder des letzten Jahres aus Vietnam und Laos beeindrucken die Burschen. Mit großem Erstaunen entdecken sie sehr viel Änlichkeiten in der Armut und Lebensweise ihrer südostasiatischen Brüder und Schwestern. Erst als sie ihr Dal Baht serviert bekommen, verstummen ihr Lachen und ihre Kommentare. Damit endet die kleine Veranstaltung und auch ich begebe mich auf mein Zimmer.
Noch ein Tag bis Manang. Dann hätte ich mein Minimalziel erreicht. Am nächsten Morgen warten unzählige Spitzkehren auf mich. Wohlgemerkt bergauf. Ich habe mich für die "high route" entschieden. Wenn schon, denn schon...