Es ist der Abend des zweiten Tages auf meiner Fahrt von Kathmandu nach Pokhara. Zufrieden sitze ich auf meiner großen, gelben Packtasche vor meinem Zelt, in einem Steinbruch, direkt neben der Straße, als zwei jüngere Nepalesen von rechts auf mich zukommen.
Die beiden sehen ziemlich abgerissen aus. Je näher sie kommen, umso mehr erscheinen sie mir auch nicht unbedingt nüchtern. "Namaste", grüße ich die Beiden. Der größere von den zwei Burschen lächelt etwas und grüßt zurück. Der etwas kleinere schaut nicht so freundlich und stiert auf mein Zelt hinter mir. Mit Gestik und Mimik versuche ich eine Konversation aufzubauen.
Der nettere der beiden geht darauf ein, während der kleinere weiter nur glotzt. Ich behalte beide im Auge. Da sehe ich aus dem Augenwinkel von links einen weiteren Burschen kommen. Er sieht am übelsten aus. Der Kerl trägt - wie alle drei - vor Schmutz starrende Klamotten und schaut mich mit großen Augen an. Nebenher kaut der freundliche auf Bethelblättern herum und spuckt immer wieder seinen roten Speichel neben sich auf den Boden.
"Namaste" grüße ich den hinzugekommenen. Der ignoriert mich und schaut sich um. Daraufhin sagt der nette etwas auf Nepali zu ihm. Widerwillig grüßt der neue mich mit "Namaskar" ohne mich dabei anzuschauen. Ich mag den Typen nicht.
Der neue wendet sich meinem Bike zu. Besonders das Schloß nimmt er unter die Lupe und ich meine so etwas wie leichte Verachtung wahrzunehmen. Vielleicht weil ich das Bike nur abgeschlossen, aber nicht an den Pfosten angeschlossen habe, an dem es nun lehnt.
Der nette erzählt mir, daß sie auf der anderen Straßenseite auf einem Parkplatz nächtigen werden. Ich verstehe.
Als ich den Entschluss gefasst hatte, hier zu campen, habe ich natürlich die Gegend ausführlich gescannt. Habe versucht einzuschätzen, wer mir in die Quere kommen könnte. Dabei war mir ein großer Bus mit Nepalesen aufgefallen. Die hatten ebenfalls auf der anderen Straßenseite eine Art Picknick abgehalten. Ergo keine Gefahr.
Da es noch etwas Zeit bis zum Sonnenuntergang war, hatte ich mich erst einmal auf meine Zeltunterlage gelegt und war eingenickt. Diese Vorgehensweise ist ebenfalls eine gute Strategie um herauszufinden, wie der Platz zu bewerten ist.
Kommen dauernd neugierige Menschen? Zeigen sich Tiere? Wen habe ich wo übersehen? Alles Faktoren, die für eine unruhige Nacht sorgen können.
Dann war ich von lauten Hammerschlägen geweckt worden und hatte den Jeep auf der anderen Straßenseite entdeckt. Irgendein Kerl bearbeitete die Hinterradbremse.
Ich bedeute dem netten, daß ich sie gehört habe, wie sie ihren Jeep wieder fahrbereit machen wollten. Er lacht zustimmend und erzählt es seinem Kumpel.
Dann bietet er mir an, ihnen auf der anderen Seite auf dem Parkplatz Gesellschaft zu leisten. Ich bedanke mich, lehne freundlich ab und deute auf mein bereits aufgebautes Zelt.
Danach versandet das Gespräch.
Zeit etwas zu unternehmen. Ich stehe langsam auf und bewege mich bewußt nach links, so daß mein orangefarbenes Messer sich deutlich von meiner schwarzen Hose und meinem schwarzen Shirt abhebt. Außerdem bin ich mir zu oft nicht bewußt, daß allein meine Größe Wirkung erzielt. Nun setze ich das bewußt ein. Danach kehr ich zu meiner Packtasche zurück und setze mich wieder.
Die Unterhaltung stockt und abermals mache ich den nächsten Zug. Ich bedeute den Männern, daß ich gedenke, schlafen zu gehen. Sie verstehen sofort und verlassen langsam meinen Campingplatz, auf dem gleichen Weg wie sie gekommen sind.
Zwei nach rechts, einer nach links.
Warum tun die das, frage ich mich.
Okay, die zwei sind nicht das Problem, die sehe ich durch den Holzstapel vor mir auf den Jeep drüben zugehen. Meine Augen folgen dem anderen. Er überquert die Straße, hebt irgendetwas vom Boden auf und verschwindet geradeaus im Gras einen Hang hinab.
Kurz darauf kommt er mit einem Eimer Wasser zurück und geht zu seinen zwei Kumpanen. Okay, die drei gehören definitiv zusammen.
Ich werde in der kommenden Nacht wachsam sein müssen.
Bevor ich mich ins Zelt begebe schließe ich mein Bike an den Pfosten an. Sie sollen es nicht einfach haben, wenn sie mein Pferd entführen wollen;-)
Nachdem ich mich gewaschen habe, döse ich irgendwann ein. Als ich kurz wach werde, ist drüben Ruhe. Gutes Zeichen, denke ich. Die Burschen schlafen ebenfalls.
Gegen 22:30 Uhr werde ich abermals wach. Die drei sind wieder am Arbeiten. Mehrmals überlege ich mein Zelt zu verlassen, um durch den Holzstapel hindurch zu spähen, um zu sehen, was dort drüben passiert.
Doch dann fällt mir mein erster großer Radtrip ein. In der Türkei war ich damals in einer ähnlichen Situation und hatte mir irgendwann gesagt: "wenn die was wollen, werden sie schon kommen..."
Ich schlafe wieder ein. Als ich das nächste Mal wach werde, ist wieder alles ruhig. So vergeht die Nacht und nichts passiert.
Einen Tag vorher...
30. September 2017
Am ersten Radeltag verlasse ich kurz nach 9 Uhr mein temporäres Zuhause in Kathmandu, wo ich seit meiner Ankunft am 26.09.17 ein Zimmer bei der Familie meines "little brothers" Amit bezogen hatte.
Ein paar Minuten später erreiche ich Thamel, das Touristikviertel Kathmandus. Vor ein paar Tagen habe ich hier meine Wäsche zum Waschen in einer der zahlreichen "Laundries" abgegeben. Blöd ist nur, daß heute Samstag ist und ich vor verschlossenen Türen stehe. Ein junger Nepalese aus dem Nachbarshop spricht mich an:
"you wanna pick up your laundry?"
"yes, of course!"
Hoffnungsfroh folge ich ihm in das Innere seines offenen Ladengeschäfts. Der erste Beutel ist meiner. Der Inhalt wandert in meine große Packtasche.
Es kann losgehen.
Zunächst geht es an einem Fluß entlang und danach über eine Brücke auf die andere Seite. So gelange ich an die Ausfallstraße nach Pokhara. Doch ganz sicher bin ich mir nicht, also frage ich bei zwei Polizisten nach, die an einer Ecke stehen. Sie bestätigen meine Vermutung.
Als ich wieder losfahre, passiert es: ich komme zu weit nach rechts Richtung Straßenmitte und werde um Haaresbreite von einem Auto erfasst. Schei....!!!
Das war knapp! Ich muß vorsichtiger sein!
Danach arbeite ich mich Kilometer für Kilometer und Höhenmeter für Höhenmeter raus aus der Millionenstadt, die zu Reinhold Messners Zeiten, in den frühen achtziger Jahren, gerade einmal 150.000 Einwohner hatte.
Zwischendurch kaufe ich Wasser, das mir der Shopbesitzer netterweise gleich selbst in meine NALGENE Flaschen umfüllt. Die gefüllten Flaschen stecke ich sogleich in meine nagelneuen APIDURA FOOD POUCH Halter, die ich dieses Jahr auf Tour ausprobiere und die sich bereits nach drei Tagen bewährt haben.
Anders als 2008 und 2015 spüre ich den Smog und die Autoabgase dieses Mal deutlich. Mein Rachen brennt und so fahre ich mit einem BUFF Tuch vor den Atmungsorganen. Das ist zugleich auch ein willkommenes Atemtraining, denn da wo ich mit meinem Mountainbike hin will, wird die Luft nur noch einen Sauerstoffgehalt zwischen 40% und 50% haben.
Doch ich bin nicht der einzige, der eine Herausforderung sucht. Ein kleiner Nepalese kämpft sich eine ganze Zeit lang neben mir die Steigung hoch. Es ist immer wieder interessant, wie man unbewußt Menschen inspiriert bzw. motiviert. Irgendwann bleibt auch er zurück und ich erreiche kurz darauf den höchsten Punkt über Kathmandu. Von hier geht´s erst mal runter nach Naubise.
Mein vollgefedertes Mountainbike und der Thule Gepäckträger fühlen sich weiter sehr schwammig an, aber mit der Zeit lerne ich zu unterscheiden. Das schwammige Gefühl kommt nur vom Träger und nicht vom Bike und das sei der Konstruktion geschuldet, die hält was sie verspricht. Zumindest bis heute.
Nach einer wunderbar langen Abfahrt geht es moderat weiter. Zeit die Augen nach rechts und links zu richten. Und da fällt mir eines auf: SAND.
Überall sind riesige Sandgruben und zahllose Trucks und Förderbänder zu sehen. Zuerst registriere ich das nur, dann arbeitet es in meinem Hirn und irgendwann erinnere ich mich. Vor Monaten war ich auf einen Video gestoßen, das sich genau mit diesem Thema auseinander gesetzt hatte.
Den ganzen Tag folge ich dem Prithvi Highway und genieße die abwechslungsreiche Landschaft bzw. Vegetation und bin noch immer beeindruckt davon, was diese Menschen in der Lage sind zu leisten.
Gegen 14 Uhr wird es Zeit für mein erstes Dal Baht. Auch hier stelle ich eine Veränderung an mir fest. Hatte mich das nepalesische Nationalgericht die letzten beiden Male nicht sonderlich begeistern können, so finde ich es jetzt wirklich lecker.
Das geniale am Dal Baht ist, das man einmal bezahlt und danach soviel Nachschlag bekommt, wie man möchte. Cyclists Paradise!
Ab 16 Uhr beginne ich damit, die Gegend nach geeigneten Plätzen für mein Zelt abzusuchen. Dabei entwickelt man abhängig von der Topographie des Geländes ein Gefühl dafür, wie schwer es wird einen guten Platz zu finden. Sehe ich alle zehn Minuten einen geeigneten Platz, radel ich optimistisch und entspannt weiter, solange sich die Umgebung nicht signifikant ändert. Bin ich zum Beispiel im Dschungel oder Gebirge, muß ich damit rechnen, in einer Stunde (10 km Distanz) nur einen einzigen, geeigneten Platz zu entdecken. Das bedeutet: ich darf dann nicht allzu wählerisch sein und sollte nehmen was kommt.
Doch die vielen Sandgruben und Steinbrüche auf beiden Seiten des Highways lassen mich zuversichtlich sein. Daß es dann am Ende des Tages ein schöner, leicht über dem Straßenniveau liegender Grasplatz wird, wer hätte das gedacht?
Zuerst frage ich aber noch den Shopbesitzer gegenüber, ob ich dort auch mein Zelt aufstellen darf. Es stimmt freudig zu!
Die Dämmerung kündigt sich bereits an und ich muß mich mit dem Aufbau etwas beeilen. Aber was soll da schon schief gehen? Als ich das Außenzelt auspacke bekomme ich die Antwort auf diese Frage.
Ich habe das Moskitonetz noch nicht an das Außenzelt geknüpft! Das darf ich jetzt mit meinen Wurstfingern im Halbdunkel nachholen. Na Prima! Und dabei transpiriere ich wie ein Finne im Dampfbad. Genau mein Humor. Letztendlich bin ich dann aber selbst überrascht wie problemlos alles über die Bühne geht.
Mein Wildernesspalast erstrahlt vor mir in mattem Glanze. Nichts wie hinein;-)
Dem kleinen, netten Hund des Shopbesitzers bin ich suspekt. Er bellt die halbe Nacht, doch ich bin zu müde im zuzuhören.
Am nächsten Morgen kommt der Hund bellend angelaufen, bleibt aber auf Distanz. Nachdem ich ihm erklärt habe, daß ich Hunde liebe, ist das Eis gebrochen und wir schließen Freundschaft. Danach kommt der Sohn des Hauses und hilft mir beim Beladen meines Bergfahrrads.
Anschließend geht es die paar Meter den Hang runter und rüber zum Shop frühstücken. Mein erster nepalesischer Milchtee für dieses Jahr. Mmmmmh, ich liebe dieses süße Getränk, wenn ich in Nepal bin. Das ist Turbotreibstoff für die Hufe. Nebenbei erfahre ich noch wie ich endlich auch Wifi-Zugriff auf meinem iPhone bekommen kann. Hätte ich mal besser lassen sollen, denke ich, nachdem ich gelesen habe, wie unfassbar doof sich mein Verein mal wieder angestellt hat.
1:2 in der 93. Minute in Frankfurt - in Überzahl...nee, nee, nee...
Zurück auf der Straße ist das aber schnell vergessen. Zu schön ist die Stimmung heute morgen. Überall zieht der Morgennebel die Hills hoch. Fast alleine pedaliere ich dahin. Nur ab und zu kommt mir ein Fahrzeug entgegen oder überholt mich. Doch das soll sich schlagartig ändern.
In Mugling mache ich eine Frühstückspause. Ihr wisst schon... Dal Baht:-)
Diesmal ist Spinat dabei. Lecker. Auch die Currykartoffeln munden mir sehr.
Im Anschluß daran nutze ich die Zeit zur Verdauung und mache Packtascheninventur. Letzten Abend im Zelt waren meine Fahrradtaschen noch zu unpraktisch gepackt.
Ziel sollte es sein, meinen Schlafsack und alle Klamotten, Handtücher, Wertsachen und den Kulturbeutel in einer Packtasche und der Lenkertasche zu wissen. Nach und nach gelingt mir das auch. Nebenher unterhalte ich mich mit einem jungen Nepali über die Unterschiede zwischen Nepal und Europa.
Vor mir auf der Hauptstraße bildet sich inzwischen nach und nach ein Stau, bestehend aus Bussen, Mopeds, Jeeps und PKWs. Nichts scheint mehr zu gehen. Mir wird langsam klar, daß in diesen Fahrzeugen gefühlt die Hälfte der nepalesischen Bevölkerung zu sitzen scheint. Wahrscheinlich hat ein Großteil davon anläßlich des Vijaya Dashani Festivals die letzten Tage bei ihrer Familie verbracht und muß morgen wieder am Arbeitsplatz erscheinen, der oft sehr weit von der Familie entfernt liegt. Daher das unfassbar große Verkehrsaufkommen. Die Lawine ist irgendwann in den Morgenstunden in Kathmandu gestartet und hat nun Mugling erreicht.
Keine gute Perspektive für mich. Ich packe alles zusammen und versuche irgendwie mit der Flutwelle mitzuschwimmen. Nach ein paar hundert Metern entdecke ich eine der Ursachen für den stillstehenden Verkehr. Ein große Brücke ist nur einspurig befahrbar.
Danach entzerrt sich das Geschehen merklich. Das ändert aber nichts daran, daß Fahrzeuge nach einem erfolgreichen Überholvorgang mehrmals haarscharf vor mir wieder einscheren. Nicht nur einmal schreie ich den Bussen unflätige Beschimpfungen hinterher. Das ist brandgefährlich was sich hier heute auf der Straße abspielt.
Der nächste Stau wartet schon auf mich. Kurz vor mir ist ein Unfall passiert. Dank meines schlanken Vehikels dringe ich schnell zum Tatort vor und bin gechockt.
Vor mir liegen zwei schwerverletzte Nepalesen mit, soweit ich sehen kann, mehrfach gebrochenen Beinen. Der eine blutet auch noch unter seinem Helm hervor. Beide liegen wie paralysiert zu meinen Füßen. Kein Laut des Schmerzes dringt an mein Ohr. Unfassbar.
Der Verkehr staut sich nun von beiden Seiten. Für mich geht der ungleiche Kampf weiter. Bis ich gegen 16 Uhr ein Dorf erreiche und den Steinbruch entdecke, der mein Nachtlager wird.
Intuitiv entscheide ich mich heute frühzeitig die Straße zu verlassen. Ich lebe noch und bin unverletzt und das soll noch lange so bleiben;-)
2. Oktober 2017
Gegen 6:30 Uhr lasse ich den Steinbruch hinter mir und starte in den Tag. Ich nutze die ruhigen Morgenstunden mit nahezu null Verkehr.
Es geht von Anfang an stetig bergauf. Der Baum, unter dem ich vor acht Jahren gezeltet habe, ist verschwunden. An seiner Stelle steht jetzt ein Restaurant.
Rechts in der Kurve tauchen zwei ärmliche Hütten auf. Ich grüße die Menschen, die Menschen grüßen freundlich zurück. Das gefällt mir. Hier möchte ich frühstücken. Mal sehen was das Buffet bietet. Schnell gesellen sich mehrere Kinder zu mir. Süßer Milchtee wird gereicht, ich verspeise zwei weich gekochte Eier und eine kleine Schale Kichererbsen. Milchtee wird nachgegossen. Am Ende bezahle ich ca. 1,10 € inklusiv einer Flasche Wasser.
Während ich esse und trinke, unterhalte ich die Kinder, indem ich ihnen meine hydraulische Sattelstütze sowie den Feuerstein meines Survivalmessers vorführe und ihnen den Sinn des Point-it Büchleins demonstriere.
Die Pause dauert deutlich länger als geplan, weil wir so viel Spaß miteinander haben.
Schlußendlich zahle ich und verabschiede mich. Der Tag hat ja erst begonnen und ich habe noch gut 60 km vor mir.
Die Straße steigt weiter an, bis ich endlich das Dorf erreiche, das den höchsten Punkt markiert. Von nun an geht es erst einmal bergab, gefolgt von einem moderaten Geländeprofil mit kleineren Anstiegen und Abfahrten.
Es wird zunehmend heißer und ich bin schon seit einiger Zeit auf der Suche nach einer schattigen Bushaltestelle zum Ausruhen. Nach kurzer Zeit endet meine Suche erfolgreich. Zuerst breite ich mein Zelt und die Unterlage zum Trocknen aus. Dann nehme ich meine Lenkertasche, platziere sie am Kopfende der Betonsitzbank und bette meinen Kopf darauf. Kurz darauf nicke ich ein.
Als ich wieder aufwache, bekomme ich Gesellschaft von zwei Nepalesen, die wohl auf einen Bus warten. Ich packe die Zeltunterlage wieder ein und wende das Zelt, das noch nicht ganz trocken ist.
Dann lege ich ich wieder auf die Betonbank und möchte weiter ruhen. Doch irgendwas stimmt nicht. Meine Atemorgane registrieren irgend etwas ungewöhnliches. Zuerst zweifle ich noch. Doch mit jedem Atemzug wird es schlimmer. Ich kann nicht mehr richtig atmen!
Instinktiv richte ich mich auf und schaue mich fragend um. Da scheint auch der eine Nepalese plötzlich Atemprobleme zu bekommen. Er fängt an zu husten und steht auf um sich von mir weg zu bewegen.
Plötzlich habe ich einen Verdacht. Schnell öffne ich meine Lenkertasche, auf der mein Kopf lag und... Bingo! Durch das Gewicht meines Kopfes habe ich das Pfefferspray in meiner Lenkertasche zum sprühen gebracht. Gefahr erkannt - Gefahr gebannt.
Nach und nach räume ich die ganze Lenkertasche aus. Der Schaden ist immens. Nahezu alles ist vom ätzenden Pfefferspray kontaminiert. Tage später werde ich meine neue Stirnlampe wegwerfen, da das Stirnband in Pfefferspray getränkt ist. Das Glas meine Fahrradcomputers ist ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.
Mit Wasser vesuche jedes einzelne Teil abzuwaschen und mit WC-Papier zu trocknen. Das Zeug ist die Hölle. Tage später noch brennen mir die Häute zwischen meinen Fingern vom Reinigen.
Mr. Bean is back on tour;-)
Wieder begehe ich meinen alten Fehler. Ich esse zu wenig. Zwanzig Kilometer vor Pokhara halte ich dann doch an, fülle meine Wasservorräte und esse die vielleicht leckersten Momos bis dato.
Daß das zu wenig ist, merke ich kurze Zeit später auf der Straße. Mir tun nicht nur meine Hände immer mehr schmerzen, nein, ich habe auch keine Kraft mehr.
Alle fünf Kilometer halte ich an, suche einen schattigen Platz und versuche mich so weit möglich zu erholen. Meiner Empfindung nach herrscht in Nepal im Vergleich zu 2015 auch mehr Hitze zu dieser Jahreszeit. Ob ich mich nur täusche?
So quäle ich mich Meter für Meter meinem Ziel entgegen. Dabei geht mir einiges durch den Kopf, was meinen weiteren Tourenverlauf mit Sicherheit beeinflussen wird. So etwas, wie gestern, in diesem Wahnsinnsverkehr, das sollte mir nicht mehr freiwillig passieren.
Fünf Kilometer vor Pokhara fängt es an sintflutartig zu regnen. Einmal klitschnass, freue ich mich über meine erste Dusche seit 2 Tagen.
Ich habe mein Basecamp erreicht.
Nachtrag, aufgeschnappt von einem jungen Inder, der in Schweden lebt und ein Zimmer neben mir bezogen hat:
Mahatma Ghandhi wurde gefragt:
"Was halten Sie von der westlichen Zivilisation?"
Mahatma Ghandi antwortete: "Das wäre eine großartige Idee!"