Luang Prabang - Nong Khiaw by bicycle


Dienstag morgen in Luang Prabang: Wir halten noch kurz bei einem Bäcker an, um etwas Brot zu kaufen. Nach zwei Monaten Reisernährung ist es mir mal wieder danach. Ich erstehe zwei Baguettes und ein Plunderstückchen. Wir wollen gerade wieder los, da kommt Chris auf mich zu. Seit Wochen standen wir in losem Kontakt, doch mit einem Treffen hatte es bisher nicht geklappt. Nicht einmal hier in Luang Prabang, dieser wunderschönen Stadt, die so ruhig ist. Wo man meint, die Zeit wäre vor vielen, vielen Jahren stehen geblieben. Eine Stadt wie ein Museum. Weltkulturerbe. Das sagt eigentlich alles.

 

Chris hat bei mir in Stuttgart schon zwei Mountainbikekurse absolviert und ist für vier Monate in Südostasien unterwegs. Erst Myanmar, dann Thailand, gestern noch Laos, heute schon in Vietnam. Gute Reise!

 

Doch so schön es hier auch aussieht, so teuer ist es auch. Und Schönheit zieht Touristen an. Egal. Jedenfalls hatte ich so etwas wie eine Zivilisationsdepression. Wie sich das äußert? Endloses Schlafbedürfnis, Müdigkeit, Unzufriedenheit. Es fühlte sich einfach nicht gut an. Mike aus Belgien ging es ähnlich.

 

Was hilft dagegen? Zurück auf die Straße. Raus in die Natur. Unser Weg führt noch kurz am Konsulat von Vietnam vorbei, wo Mike sein Visum abholt. Dann endlich pedalieren wir aus der Stadt. Minuten später grinsen wir beide. Ja. Das ist es. Das fühlt sich gut an.

 



 

Mein Rohloffgetriebe fängt bereits nach wenigen Kilometern wieder an unsauber zu funktionieren, aber ich arrangiere mich damit. Wir genießen die neue, alte Freiheit, das Essen der Straße, die Menschen und vor allem die Kinder, die uns überall "Sabaidee" entgegenrufen und sich unglaublich freuen, wenn wir "Sabaidee" zurückrufen.

 

Morgens war es so kalt gewesen, daß ich mit Windstopperjacke, Strümpfen und Trekkingschuhen gestartet war. Gegen 11 Uhr wechsle ich wieder zu barfuß mit Sandalen und Muskelshirt.

 



Zehn Kilometer vor unserem Tagesziel bemerke ich, daß an meinem Vorderreifen langsam Luft entweicht. Mike ist außer Sicht. Da ich weiß, daß er in einem Guesthouse übernachten möchte, fahre ich rechts ran, als ich eine Tankstelle mit Toilette entdecke. Das ist ein guter Platz, um den Mantel und den Schlauch zu wechseln. Doch letztendlich dauert alles länger als ich erwartet habe. Bald wird es dunkel werden. Zeit einen Platz zum Campen zu finden.

 

Am Anfang eines längeren Anstiegs werde ich fündig. Fünf Meter neben der Straße. Bis gegen 23 Uhr fahren die lauten Trucks noch an meinem Zelt vorbei. Doch das höre ich nicht mehr. Ich wache erst auf, als ich ein seltsames Geräusch neben meinem Kopf höre. Außerhalb meines Zeltes wohlgemerkt. Zuerst lausche ich angestrengt, dann kommt mir eine erste Idee. Es ist, als bewege sich etwas im Sand ein kurze Strecke und halte dann wieder inne. Dann fängt es wieder an.

 

Eine Schlange! Das muß eine Schlange sein! So nah? Mit der Faust haue ich auf den Zeltboden. Schlangen flüchten in der Regel vor Erschütterungen. Solange sie sich nicht in die Enge getrieben fühlen. Erst dann greifen sie an. Ich bin sehr froh über mein Moskitozelt. Wieder höre ich das Geräusch. Ich schalte meine Stirnlampe an. Doch mein schwarzes Moskitozelt reflektiert das Licht nur. Ich sehe weniger wie vorher.

 

Gut, denke ich und öffne das Moskitozelt ca. 20 cm über dem Boden. Die Lampe erfasst meine Zeltplane. Nichts zu sehen. Dem Geräusch nach muß es sich um ein größeres Exemplar handeln. Aber nachts täuschen einen die Sinne.

 

Ich erinnere mich an eine Nacht in der turkmenischen Wüste, als ich nachts auch ein Geräusch gehört habe, als würde eine Elefant um mein Zelt poltern. Am nächsten Tag hatte ich einen großen Käfer entdeckt, der wohl die ganze Nacht verzweifelt mein Zelt umrundet hatte.

 

Meine Augen suchen die Zeltplane nach einer länglichen Wölbung ab. Die Schlange muß unter der Plane sein. Doch es ist nichts dergleichen zu entdecken.

 

Ich werde mutiger und haue auf die Plane. Nichts bewegt sich. Nichts regt sich. Nirgendwo flüchtet etwas. Meine Augen wandern an den Rand meiner Zeltplane.

 

Da! Es bewegt sich etwas glitzerndes! Ich richte den Lampenstrahl darauf. Was ist denn das? Da ist ja richtig Bewegung! Dann ist wieder Ruhe. Wieder dieses Geräusch. Ich taste hinter mir im Zelt nach meiner Brille. Dann öffne ich das Zelt und beuge mich langsam Richtung Planenende. Wieder höre ich es. Ungefähr alle 30 Sekunden. Langsam bewege ich meinen Kopf und meine Oberkörper Richtung Geräusch. Und dann sehe ich das Unglaubliche!

 

Ameisen. Unzählige Ameisen! Und wie auf Kommando drehen sie sich alle 30 Sekunden auf den Rücken und vibrieren wie elektrisiert im Sand. Das verursacht dieses laute Geräusch. Unglaublich!

 

Schnell ziehe ich meine Sandalen an. Mal schauen, wie viele es sind und wo sie sich schon überall befinden. Habe ich mein Zelt etwa auf einem Ameisennest errichtet? Hellwach klettere ich aus meinem Zelt. Dann sehe ich die Ameisenstraße. Oder eher den kleinen Graben im Sand.

 

Okay. Das sind nicht so viele, denke ich. Dann hebe ich die Plane... Das reicht mir. Mehr muß ich nicht sehen. Da ist ordentlich Leben darunter. Schnell überprüfe ich noch meine Packtaschen im Vorzelt und stelle dabei beruhigt fest, daß keine Ameisen darauf herum turnen oder sich durch das Packtaschenmaterial fressen. Ist alles schon vorgekommen. Leicht entspannt kehre ich zurück in mein vermeintlich sicheres Zelt.

 

Kurz denke ich über den Einsatz von Moskitospray nach. Doch dann verwerfe ich den Gedanken. Die kleinen Insekten haben mir nichts getan. Also tue ich ihnen auch nichts. So einfach ist das. Außerdem verbietet mir meine Nähe zum buddhistischen Glauben keinem Lebewesen Schaden zuzufügen. Wie sagte Buddha eines Tages zu einem Fischer: Im nächsten Leben wirst Du der Fisch sein.

 

Kurz darauf schlafe ich wieder ein. Am nächsten Morgen finde ich von dem nächtlichen Spuk keine Spur. Nicht eine Ameise ist zu sehen.

Als wären sie nie da gewesen...

 



 

Morgens wache ich zeitig auf und werde von einer Handvoll laotischer Kinder neugierig beobachtet, wie ich mein Zelt abbaue und zusammenpacke. Mein Lagerplatz war nur gut hundert Meter von einem ärmlichen Dorf entfernt und so früh sitzen ganze Familien vor ihren Hütten und wärmen sich an kleinen Feuern, während ich an ihnen vorbei bergauf pedaliere. Ich liebe diese nebligen Morgen in Südostasien, wenn der Dschungel noch schläft.

 


 

Kurz nach der Passhöhe treffe ich auf eine paar chinesische Truckfahrer und halte einen kurzen Plausch mit ihnen. Dann geht es weiter bergab ins nächste Dorf, wo ich auf Mike treffe, der in einem Guesthouse übernachtet hat. Wir haben uns über SMS und Telefon verständigt. Klappt echt gut hier in Laos.

 


 

Mittwoch abend erreichen wir Nong Khiaw, wo wir zwei tolle Bambushütten direkt am Nam Ou River beziehen. Mike hat seit Luang Prabang Darmprobleme und so bleiben wir erst einmal bis auf weiteres hier. Donnerstag morgen begibt er sich ins örtliche Hospital und kehrt danach mit Schmerzmittel gegen Krämpfe und Antibiotika zurück. Ich vertraue weiterhin auf Chillies, die ich ständig dabei habe und mit denen ich mein Essen überall kräftig nachwürze.

 


 

Mittlerweile sind wir uns aber auch der Gefahr bewusst, dass wenn wir hier nicht in ein paar Tagen wieder aufbrechen, werden wir wohl für immer hier bleiben, so herrlich ruhig und idyllisch ist es hier. Die beiden Bilder, von unserem Balkon aus aufgenommen, veranschaulichen warum wir so denken und fühlen. Nur ab und zu fällt mir ein Mensch auf, der schnell an uns vorbei läuft: Ein Tourist. Die können gar nicht mehr langsam gehen. Selbst hier wirken sie wie von unsichtbarer Hand angetrieben.

 



 

Die linke Karte zeigt die Strecke, die wir seit Luang Prabang zurückgelegt haben. Rechts seht ihr die Route, die noch vor uns liegt, bis wir in 6 bis 7 Tagen die vietnamesische Grenze hoffen zu erreichen.

 



 

Nun sitze ich hier auf meinem Balkon und lausche den undefinierbaren Geräuschen, die von der anderen Flußseite des Dschungels herübertönen, bis die jungen Backpacker neben uns meinen, ihre Musik aufdrehen zu müssen.

 

Ignoranten.

Ich, ich, ich.

 

Es ist nicht anders wie Zuhause. Wahrscheinlich waren wir in dem Alter genauso bescheuert.

 


Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Jürgen (Sonntag, 18 Dezember 2016 09:23)

    Hola mein Guter..ja Rücksichtsnahme ist definitiv keine menschliche Stärke...wünsche weiter Gute Reise