Radeln ohne Genehmigung (Tag 3)

Nach einer eiskalten Dusche und einem reichhaltigen Abendessen war ich am Vorabend früh in meinen Schlafsack gekrochen und hatte nach dem Ausschalten meiner Stirnlampe zu meiner Freude wahrgenommen, daß es wirklich stockdunkel um mich herum war. Ist heutzutage ja eher eine Seltenheit, bei all den künstlichen Lichtquellen um uns herum. Es war empfindlich kalt, hier auf knapp 1.600m. Ab morgen würde ich meine Sandalen gegen meine Wanderschuhe tauschen. Kalte Füße kann ich ehrlich gesagt überhaupt nicht leiden...



Hatte es mir am Abend noch vor der Trageaktion am Morgen gegraust, sieht die Welt ausgeschlafen gleich viel entspannter aus. Vor allem, wenn sich der kleine Nachwuchsporter bereits vor dem Frühstück voller Tatendrang einfindet. Motiviert natürlich auch durch die 50 Rupies (40 Cent), die ich ihm am Abend zuvor bezahlt und die ich ihm wieder in Aussicht gestellt hatte.

 


Doch vor der Arbeit steht das Vergnügen. Gerne nehme ich das Angebot des jungen Guesthouse-Besitzers an und frühstücke im Garten mit Blick auf den Rukse Chhahara Wasserfall. Der Tag fängt gut an und nebenbei erkunde ich mich, wie lange ich wohl für die 500 Höhenmeter bis Ghasa einplanen darf. Er würde eine knappe Stunde benötigen, zu Fuß wohlgemerkt, entgegnet mir der junge Nepalese. Das ist doch eine Ansage, denke ich und starte in die dritte Tagesetappe seit Beni. Tagesziel heute ist ganz klar die Hochebene, die in Lete, bei knapp 2.500 Metern über dem Meeresgrund, beginnen soll. Der Rest bis Jomsom wäre dann anscheinend kein großes Ding mehr.

 


Kaum losgeradelt, führt die Straße direkt unterhalb des Wasserfalls vorbei.


Kurzer Fotostopp und weiter geht´s.


Ich spüre die Kraft in meinen Beinen, bedingt durchs ganztägige Radeln, regelmäßiges Essen, Alkoholabstinenz und ausgiebiges Schlafen.


Danach beginnt der Anstieg. Doch gerade als ich dabei bin, mich voller Konzentration auf die Straße, vorwärts zu bewegen, werde ich auch schon wieder gestoppt. Die erste große Ziegenherde des Tages ist im Anmarsch. Schnell habe ich herausgefunden, daß es am Besten ist, einfach zeitig links ranzufahren, denn, wie Ziegen nun einmal so sind ;-)...sie haben Angst, glotzen und Einer versteckt sich hinter dem Anderen. Die Treiber danken es mir.




In Serpentinen padaliere ich durch das Dorf. Am Ende angekommen, nutze ich die letzte Hütte zu einem zweiten Frühstück. Die Lady scheint nicht so erbaut davon. Trotzdem genieße ich einen zweiten Milchtee an diesem Morgen.


Entspannt gehe ich die weitere Strecke an, unterbrochen von weiteren Fotostopps. Die Ausblicke sind es immer wieder wert. Schnell gewinne ich Höhe und tatsächlich, nach gut einer Stunde erreiche ich Gasa.



 

Eigentlich wundere ich mich ja bis heute gelegentlich über den immensen Erfolg von GPS-Geräten und Navigationssystemen. Mittlerweile habe ich aber durch viele Gepräche festgestellt, daß eine nicht unbeträchtliche Zahl von Mitmenschen, mit Landkarten anscheinend nichts mehr anfangen kann. Das ist natürlich ein Grund.

 

So bin ich auch nicht überrascht, als ich bei meinem nächsten Raststopp von zwei nepalesischen Motorradfahrern angesprochen werde, die ohne Karte auf der gleichen Strecke unterwegs sind. Und sie gestehen mir, was ich schon oft gehört habe. Sie meinen keine Karte lesen zu können. Ich behaupte sie sind zu bequem dafür. Folgen lieber der Werbung, kaufen für teures Geld ein Navi und lassen ihr Hirn und ihre Sinnesorgane mal wieder ungenutzt. Für mich unvorstellbar.

 

Das Gespräch wird zu einem Interview, daß die Beiden auf Video dokumentieren. Logisch. Was die Beiden damit anfangen? Keine Ahnung. Ist mir ehrlich gesagt auch egal.


Ist eine komische Welt geworden...vielleicht schreib ich mal einen eigenen Blogbeitrag dazu. So nach dem Motto: "Ich bin ein Außerirdischer, holt mich hier endlich ab..."


Vorbei an Volleyball spielenden Soldaten verlasse ich Ghasa. Denke ich zunächst. Doch dann tauchen noch ein paar Hütten auf, die ich ebenfalls, meinen Blick auf die bergauf führende Piste gerichtet, hinter mich bringe.

 

Plötzlich meine ich eine weibliche Stimme von hinten zu hören. Ich halte an und drehe mich um. Eine leicht zornige Nepalesin fordert mein Permit. Okay, okay, ich folge ihr in den Checkpoint. Drinnen angekommen, wird mir schnell klar, daß mit der Dame nicht gut Kirschen essen ist. Ich habe sie einfach übersehen und das läßt sich mich jetzt spüren. Da ich meine zu wissen, wie der Hase läuft, zücke ich Nakul´s Visitenkarte und bitte sie ihn anzurufen.

 

Sie stellt sich blöd und weigert sich. Da meine SIM-Karte zu diesem Zeitpunkt kein Guthaben mehr aufweist, kann ich ebenfalls nicht telefonieren. Nochmals erkäre ich ihr, daß ich ein Permit habe, dieses aber in Kathamdu liegt.


Zickig behauptet sie daraufhin kein Handy zu besitzen. Ich lache ihr frech ins Gesicht, stehe auf und verlasse wütend die Hütte. Dann wollen wir doch mal sehen, was passiert, wenn ich einfach davonradl, denke ich und trete in die Pedale. Obrigkeitshörigkeit war noch nie meine Stärke.

 

Doch nach ein paar Metern meldet sich mein Gewissen und Bilder aus Thailand kommen wieder in mir hoch. Was passiert tatsächlich, wenn ich ohne Genehmigung aufgegriffen werde? Erwartet mich eine saftige Geldstrafe oder wandere ich gar wieder in eine Zelle?



Ich drehe um. Miss Nepal sitzt gelangweilt auf einem Mäuerchen und rasiert sich die Beine. Abermals bitte ich sie Nakul anzurufen. Sie würdigt mich keines Blickes. Den Nachbarn, zwei Männern, stehen die Fragezeichen ob unseres Schauspiels förmlich ins Gesicht geschrieben.

 

Mir kommt eine Idee. "Do you have a mobile phone?" spreche ich den Einen an. Doch Miss Nepal riecht den Braten, sagt etwas zu ihm und danach ist seine Antwort klar. "No".

 

Dann halt nicht. "You got your chance" sage ich zu Miss Nepal. "I do not need a permit, i can also cycle without it!"





Am frühen Nachmittag erreiche ich Lete. Zur Belohnung gibt es Dal Bhat satt. Ich habe keinen richtigen Bock mehre und Zeitdruck sowieso nicht.


Also begebe ich mich ins Paradies...der Rest des Tages ist Erholung angesagt.




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Kommentare: 1
  • #1

    Simone (Mittwoch, 18 November 2015 21:36)

    Du spürst durch regelmäßiges Essen, Alkoholabstinenz und ausgiebiges Schlafen die Kraft in den Beinen.
    Wäre doch toll wenn die Kraft für immer im Körper und Geist zu spüren wäre.
    Glaube mir, ein absolut geniales Gefühl :-)
    Alles Gute auf deiner weiteren Reise.