Baan Nam Kehm

Bargeld, Duschgel und Zahnpasta gehen zur Neige. Die Prepaidkarte will aufgeladen werden und ich habe die leise Vorahnung, daß meine Lauschapparate nach 8 Wochen Schweiß, Hitze, Staub und Sand ein paar Ohrreinigungsstäbchen dringend benötigen könnten. Ich schleiche mir also aus meinem Zimmer im "White House", so heißt das moderne und großräumige Haus, das Pim gehört und in dem sie mir ein großes Zimmer mit Doppelbett, Riesendusche und begehbarem Schrank vermietet hat. Vollständigkeitshalber sollte ich erwähnen, daß ich auch noch einen Flachbild-TV, einen DVD-Player und eine XBox zur Verfügung habe. Da ich das alles daheim nicht besitze, ist es für mich so interessant wie eine Brille für einen Blinden. Es ist für mich hier in Thailand schon Übung genug, die TVs in den Bars und Restaurants zu übersehen und vor allem zu überhören. Der gleiche Intelligenz beleidigende Schwachsinn im Flachformat wie zuhause.


Kaum habe ich mich aus dem Zimmer geschlichen, sehe ich im offenen Wohnraum Pim telefonieren. Sie bedeutet mir mit einer einladenden Geste Platz zu nehmen. Kurze Zeit später legt sie auf und kündigt mir an, sich nun alle Zeit für ein Frühstück mit mir zu nehmen. Fast zwei Stunden lang lausche ich ihr, erzähle von meinen Ideen, trinke Mocca, esse frischen Ananas und Mangos, die sie uns von Ihrer Köchin aus dem Restaurant bringen lässt.


Dann will ich los. Rechts Richtung Khao Lak oder links Richtung Takua Pa? Kim´s Empfehlung lautet links. Gut 7 km liegen vor mir, bis ich anscheinend alles erledigen kann. Ich kenne die Straße, denn es ist die gleiche, auf der ich vor ein paar Tagen hierher geradelt bin. Kurz bevor ich mein eigentliches Ziel erreiche, sehe ich ein Schild "Baan Nam Khem Tsunami Memorial". Wieder wird mir der vermeintliche "Zufall" bewußt. Am Tag vorher war ich bei einer Internetrecherche auf dieses zweite Memorial aufmerksam geworden. Ich hatte noch auf der Karte geschaut, wie weit es wohl entfernt wäre und hatte mir vorgenommen, dort auch noch hinzufahren.

 

Das hat sich jetzt erledigt. Kim´s Empfehlung hat mich automatisch dorthin geführt. Man hat mir den Weg einmal mehr "gezeigt". Dazu gehört dann auch, daß rechts ein Geldautomat vor einem Supermarkt auftaucht, in dem ich alles bekomme, was ich einkaufen wollte. Selbst die Sonnencreme. Die ist in Thailand wirklich teuer. Zweimal weise ich die Verkäuferin darauf hin, daß die Flasche 385 Baht kostet. Als sie es nicht versteht, akzeptiere ich das Schnäppchen für 85 Baht. Die "3" war von der Sonne arg ausgebleicht und kaum zu erkennen. Hat man den richtigen Weg gefunden, fliegt einem alles zu.

 

Die Gedenkstätte taucht vor mir auf.


Links davon sehe ich das an Land gespülte Fischerboot.


Ich fotografiere erst das Boot und den Gedenkgang von oben. Dann nehme ich mein Rad und gehe über das Gelände im Bogen auf die beiden Wände und den Gang zu.


Hinter dem Boot hat man eine Betonwand errichtet, die eine Tsunamiwelle symbolisieren soll.


Gegenüber eine Wand mit Kacheln. Dazwischen ein gut 2 Meter breiter Weg der das Memorial begehbar macht.


Es ist unbeschreiblich. Ein riesiger Druck scheint auf dieser Szenerie zu lasten. Es bleibt einem förmlich die Luft weg. Ich benötige einige Minuten bevor ich mich auf den Gang zubewege. Eine Zeit lang ist es für mich unvorstellbar, durch das vor mir liegende Memorial zu gehen. Der Gang scheint wie durch eine unsichtbare, vor mir stehende Wand blockiert. Doch diese Wand existiert nur in meinem Kopf.

 

 

Irgendwann zwinge ich mich loszugehen. Ganz langsam. Immer wieder bleibe ich stehen.


Eine vierköpfige Familie. Ein Ehepaar. Drei kleine Geschwister. Ein einzelner Junge.


Unbeschreibliches Mitgefühl wallt wieder und wieder in mir hoch. Unsagbares Leid in kleine Kacheln gefasst. Handgeschriebene Vornamen. "Wir vermissen Dich so sehr".

Wie betäubt verlasse ich auch dieses Memorial. Radel noch ins Dorf. Auf der Hauptstraße wird meine Aufmerksamkeit und mein Mitgefühl wieder in andere Bahnen gelenkt. Der Straßenverkehr macht es notwendig.

 

Den Nachmittag verbringe ich am Strand. Immer wieder schau ich zum Horizont, stelle mir vor, wie es wohl war, als der Tsunami kam. Von da wo ich gerade liege, sind es 1.600 m Entfernung bis das Gelände ansteigt.

 

Ich rechne im Kopf, wie schnell ich mit dem Rad wäre. Würde ich alles liegen lassen, oder doch versuchen meine Packtasche zu schnappen? Von da, wo ich liege, bis zum Rad, sind es ca. 100 m. Anfahren, beschleunigen, am Strand entlang und dann rechts rein, Richtung Hinterland. Es würde verdammt knapp werden. Es käme darauf an, wie schnell das Wasser wäre. Ich würde es vielleicht nicht schaffen, das Meer würde mich einholen.

 

Dann bemerke ich meinen Irrtum. Falsche Denkrichtung. Keine 300 Meter von hier steht ein Tsunamiturm, wie heute an vielen Stellen im Gebiet Khao Lak. Was vergißt man nicht alles in Panik und Todesangst. 300 Meter weiter, Richtung Fischrestaurant, hat man sogar eine Eisenleiter an einem Baum befestigt. Bäume haben hier vielen Menschen das Leben gerettet.

 

Wie haben viele Menschen vor Jahren in Stuttgart gesagt: "es sind ja nur Bäume"...

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Peter (Freitag, 06 Februar 2015 15:35)

    Hallo Dirk ,
    Da war ich letztes Jahr auch - schon beeindruckend ...
    Ich wollte Dir nur mitteilen das wir dieses Jahr wieder im Zelt sitzen und nicht im Neckar - grins .Es ist alles gebucht ..
    viele Grüße
    Peter

  • #2

    Dirk Blume (Dienstag, 24 Februar 2015 05:23)

    Beklemmend...