Es ist dunkel und ich habe zu Fuß die Straße nach rechts verlassen um das Gelände zu erkunden.
Vor sechs Jahren in Tadjikistan war das ein absolutes "No Go". Denn in dem schmalen Streifen Land bis zum Grenzfluß lagen immer noch Minen aus dem russisch-afghanischen Krieg.
Die Warnungen des Auswärtigen Amtes habe ich mehrfach gelesen, als Reiseradler erkennt man aber, daß die Realität oft deutlich entspannter ist. Von der Straße aus, hat das auch wie der perfekte Lagerplatz ausgesehen.
Doch der Reihe nach...
Gegen 17 Uhr erreiche ich Thanbyuzayat. Nettes Städtchen, denke ich, als ich mit Grünanlagen rechts und links begrüßt werde. Ich rolle neugierig Richtung Zentrum. Von weitem sehe ich bereits den Uhrenturm, mit seinem pastelltürkisfarbenen Anstrich. Er ähnelt stark dem Turm in Bago. Doch bevor ich ihn erreiche, komme ich an einen Kreisverkehr.
Da ich nach Seste möchte, einem kleinen Küstenort, gut 15 km westlich der Stadt, biege ich hier in die stark befahrene Straße rechts ab. Ich habe Hunger wie ein Wolf, daher suche ich mir ein Restaurant an der Straße (hier ist, wie überall in Burma, ein Lokal neben dem Anderen), binde mein Pferd an und setze mich. Gebratener Reis mit Spiegelei wird meinen Kohlehydratspeicherboden hoffentlich bedecken. Von Sättigung kann keine Rede sein.
Zu gerne würde ich mal einen analytischen Blick in mein Körperinneres werfen. So mit Balken- und Kuchendiagrammen. Was da ab geht, ist auf so einer Tour der absolute Hammer. Klar, ich esse zu
wenig - aber das hat Gründe. Morgens gibt es oft kein Frühstück in den Guest Houses und das Fettgebackene, das man bei den Straßenverkäufern, für ein paar Cent erstehen kann, ist doch recht
schwer für den unausgeschlafenen Magen.
Erschwerend kommt hinzu, daß ich morgens so gerne "on the road again" (hört Ihr die Melodie dieses Klassikers ?) bin, wenn der Tag noch neu ist, das Licht gerade angeht oder der Nebel sich über
dem Dschungel lichtet. Wenn die Luft frisch gewaschen ist und man sich so richtig auf den Tag und die kommenden Erlebnisse freut. Da wird das Zelt abgebaut und ohne Kaffee losgeradelt. Zur Zeit
trinke ich dann so nach ein, zwei Stunden im ersten Dorf mit den Einheimischen meine zwei "Kaffee". In Anführungszeichen deswegen, weil die ganze Instantpäckchen mehr Milch- und Zuckerpulver
enthalten wie Kaffee. Doch die großen Lebensmitteldealer weltweit wissen wie sie ihre Abhängigen an der Nadel halten.
So nach einer Stunde fühle ich mich so richtig im "Flow".
Ich radle im Hier und Jetzt, freue mich echt über alles was ich sehe, lache Menschen an, grüße mit einem herzlichen und ernst gemeinten "Mingalaba!" oder werde entsprechend gegrüßt. Ich zeige auf den Bauarbeiter und deute auf meinen Bizeps und dann wieder auf ihn - die freuen sich Alle über Anerkennung. Das Leben macht einfach Spaß! Ich mag die Menschen hier und die Menschen freuen sich mich zu sehen. Herrlich.
So vergeht Stunde um Stunde und aus Erfahrung weiß ich, daß wenn ich nun eine Essenspause mache, komme ich nicht mehr zurück in den "Flow". Also fahre ich weiter bis mir sprichwörtlich die Körner ausgehen. Die Weiterfahrt langsam zur Qual wird. Immer öfter suche ich Kilometersteine, schaue in die Karte, frage Menschen, wie lange es noch bis da oder dorthin ist.
Doch in den letzten Tagen hat sich das ein wenig geändert. Denn spätestens kurz nach 13 Uhr sagt mir meine innere Stimme "Das geht so nicht mehr! Du mußt raus aus dieser Gluthitze!".
Oft reichen dann 30 Minuten sitzend im Schatten. Einen Schlag Reis auf dem Teller, kaltes Wasser, etwas Soße, ein paar Fetzen Chicken. Ja, ich esse hier Fleisch, weil ich den Reis sonst trocken essen dürfte.
Danach geht es wieder recht gut weiter. Schon nach 30 Minuten meine ich zu merken, wie mir neue Energie zur Verfügung steht.
So komme ich dann bis gegen 16, 17 Uhr über die Runden und damit auch meist an mein grobes Tagesziel. Dabei radle ich gut und gerne 6 bis 7 Stunden in einem Pulsbereich, in dem der Körper sofort alles, was ich so in mich reinstopfe, verwertet und es umgehend der Verbrennung zuführt. Ist nichts mehr da, geht er an die Fettreserven und wird fündig. Anders ist die immense Gewichtsabnahme nicht zu erklären. Denn das, was nach vier Tagen wieder das Tageslicht erblickt, ist nicht der Rede wert. Unfassbar.
Zurück zum Geschehen.
Nach dem Essen frage ich den Bedienerich nach einem Guesthouse und er zeigt zu meiner Erleichterung Richtung Seste. Dann gibt es da schon mal keine Unstimmigkeiten. Noch ne gute Stunde, schätze ich, und pedaliere aus der Stadt hinaus. Am Stadtrand steht rechts eine Backpackerin und redet mit einem Einheimischen. Ich frage sie, ob sie mir einen Tipp für ein Guesthouse geben kann. Ihr arroganter Blick und ihre Antwort genügen. Ich lasse sie stehen, grinse in mich rein und fahr weiter.
Die Sonne wird schwächer und setzt einen Automatismus in mir in Gang. Ich schaue auf die Uhr und setze einen Zeitpunkt fest, so eine halbe Stunde vor dem wahrscheinlichen Sonnenuntergang. Ist der erreicht und das endültige Ziel, die Unterkunft, noch nicht gefunden, werde ich ganz ruhig und suche mir ein gemütliches Plätzchen, an dem ich mich setzen kann.
Barfuß und Sandalen werden durch Socken und Wanderschuhe ersetzt. Zu leicht will ich es meinen geschuppten Freunden und den Herrschaften mit dem Stachel nicht machen. Wer weiß wo man hintritt. Die Stirnlampe baumelt ab diesem Zeitpunkt um meinen Hals, obwohl ich die möglichst nicht benutzen will, um mich im Dunkeln nicht zu verraten. Der Inhalt meiner Packtaschen wird so sortiert, daß ich alles, was ich zum Zeltaufbau benötige, auch blind finden kann. Die Sonnenbrille behalte ich auf. Denn ab jetzt rolle ich gemütlich durch die Ländereien und lasse meinen Blick immer wieder von rechts nach links schwenken. Ich scanne das Gelände lange im voraus nach einem geeigneten Lagerplatz ab.
Da rechts. Das sieht gut aus. Erstmal langsam weiterfahren. Denn da kommt mir ein Mopedfahrer entgegen. Der muß nicht mitbekommen, was ich vorhabe. Ich will nachts keinen ungebetenen Besuch. Wie damals im Iran oder in Nepal. Langsam wird das Geräusch der Motors hinter meinem Rücken leiser. Lenker einschlagen. Wenden. Zurück. Hier war es.
Ich stelle das Rad ab. Es ist fast dunkel. Ist das ein Graben? Vorsichtig überquere ich die Passage. Das muß ich mir merken, für später, wenn ich mit dem Rad inklusive Packtaschen rüber will. Vor mir öffnet sich eine Furt von gut zwei Meter. Rechts und links davon ist ein Erdwall von gut einem Meter Höhe. Perfekt. Von der Straße nicht einsehbar. Jetzt muß ich nur noch schauen, wie sich das Ganze von innen darstellt. Schritt für Schritt taste ich mich weiter. Versuche die Gesamtsituation einzuschätzen. Prima. Rechts und links genügend Platz. Jetzt geht es um die Details. Wie ist der Boden beschaffen? Sieht knochentrocken und damit hart aus. Okay, dann vielleicht das Zelt ohne Häringe aufbauen. Ich gehe in die Hocke. Sehen eine schwarze Linie. Verfolge ihren Verlauf. Da eine zweite Linie, mit der sie sich kreuzt. Das muß eine Pflanze sein. Ohne Blätter? Warum sind beide Linien gleich dünn? Beide? Mein Blick defokussiert. Geht in die Totale, so weit ich in der Dunkelheit sehen kann. Mir stockt der Atem. Da sind noch mehr kreuzende Linien. Wie ein Muster. Das hat System. Mein Gehirn beschleunigt. Die Zeit rast. Oder bleibt sie stehen? Meine Logik setzt aus. Das darf nicht sein. Ich wehre mich innerlich gegen das doch Offensichtliche. Dann wäge ich ab. Oder ist es meine eigene Verzweiflung, die mich zum letzten Schritt Richtung Gewißheit treibt? Ich scheine mich selbst und meine Gedanken zu beobachten.
"Der Verdammte wird sich am Ende nicht wehren, sondern sich, schon beinahe dankbar, den Instrumenten seiner Henker ergeben. Das wissen wir."
(Edward Abbey, Desert Solitaire)
Ein letztes kurzes Zögern. Ganz dicht bin ich mit den Augen über den Linien. Will Pflanzen sehen, bekomme aber keine Bestätigung durch meine Sehnerven. Ich fasse die Linie ganz vorsichtig an, hoffe endlich etwas Erlösendes zu spüren.
Das was ich fühle ist keine Pflanze.
Sprengdrähte. Minenfeld. Stolperdrähte zum auslösen von Minen. All das geht mir in Sekundenschnelle durch den Kopf. Panik ergreift mich. Nichts wie weg hier. Wie ein gehetztes Tier schaue ich mich um, versuche zu begreifen, was der Verstand einfach nicht begreifen will. Angst? Nein.
Fatalismus. In großen Sätzen springe ich davon. Achte ich noch darauf, wohin ich trete? Ich kann es nicht sagen und will es nicht wissen. Warte ich auf Detonationen? Wird es mir gleich die Beine wegreissen? Ich meine zu schweben. Lautlos. Dann bin ich auf der Straße. Alles ist ruhig. Wo ist der Unterschied zwischen nichts passiert und explodiert??? Ich stehe alleine irgendwo in Burma und denke "So schnell kann´s gehen..." Bin ich Paranoid?
Eine Stunde später komme ich in einem Hotel unter. Doch die Sache lässt mir keine Ruhe. Am nächsten Morgen komme ich wieder an der Stelle vorbei und schaue mir Alles noch einmal bei Tageslicht an. Seltsame, gerade wachsende, sich in regelmässigen Abständen kreuzende Pflanzen... Nachts sind alle Katzen grau ;-)
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Andrea (Donnerstag, 08 Januar 2015 18:33)
Pass auf dich auf Dirk!
So ein "Pflänzchen" wie dich gibt es kein zweitesmal!
Dirk Blume (Dienstag, 24 Februar 2015 05:08)
Ich versuch´s Andrea!