Kette gerissen !


Montag vormittag, 10:47 Uhr. Gerade habe ich eine kleine Brücke überwunden, als es unter mir ein fürchterliches Geräusch gibt. Der Blick nach unten bestätigt meine größte Befürchtung seit vier Monaten. Meine, in Upper Mustang selbst zusammengenietete Restkette hat sich endgültig in die ewigen Jagdgründe verabschiedet. Ja, ich habe eine Ersatzkette dabei. Die habe ich mir zusammen mit einem neuen Sattel und einem neuen Heckgepäckträger im Dezember nach Nepal schicken lassen. Das ist also nicht die große Sache.

 


 

Das Problem ist mein Rahmen. Denn zum Spannen der Kette muß ich drei (im Video sind es nur noch zwei) Inbusschrauben am Rahmen öffnen. Als ich vor ein paar Tagen nochmals die Kette spannen wollte, hatte ich festgestellt, daß sich die mittlere Schraube nicht mehr öffnen läßt. Die Inbusschraube war innen mittlerweile mehr rund als sechseckig. Der Schlüssel rutschte immer wieder durch. Seit Tagen beschäftigte ich mich schon mit dem Fall der Fälle.

 


 

Vorausgesetzt also, es sind nicht meine Wurstfinger, die unfähig sind, die Schraube zu öffnen, ja dann gibt es nur noch eine Möglichkeit. Die Schraube rausbohren. Und meine Schlagbohrmaschine habe ich ehrlich gesagt vergessen mitzunehmen. Witzigerweise hatte ich in den Minuten vor dem Kettenriß über ein neues Reiserad nachgedacht. Zuviele Dinge waren auf dieser Reise kaputt gegangen und die Technik hat sich in den letzten acht Jahren auch bei Reiserädern enorm weiterentwickelt. Ob mein Rad diese Gedanken gepürt hat?

 


Langsam lasse ich das Rad am Fahrbahnrand ausrollen. Dann steige ich ab und schaue mich um. Glück Nummer 1 ist, daß die Kette in einem Dorf gerissen ist. Glück Nr. 2 ist keine 100 Meter entfernt von mir. Eines der zahlreichen Cafés, die es in Thailand wie Sand am Meer gibt. Ich schiebe das Rad über die Straße an die Eingangstreppe, hole mir kurz die Genehmigung, mein Rad im Schatten reparieren zu dürfen und bestelle mir einen Eiscafé. Gut Ding will Weile haben.

 


Nach und nach wandern alle Werkzeuge, die ich benötige, von den Packtaschen griffbereit auf die Bank neben mir. Dazu gesellt sich die neue Kette und ein Kettenschloß, das das verschließen nochmals deutlich erleichtern soll. Doch schnell bestätigt sich meine Befürchtung. Die mittlere Rahmen-Inbusschraube ist durch den Wind. Selbst der Besitzer des Cafés bricht sich bei dem Versuch sie zu öffnen, fast die Finger ab. Die Schraube bleibt fest. Nach einigen Minuten hält seine Frau mir die Visitenkarte eines Bikemechanikers unter die Nase. Ja, klar. Vielleicht hat der eine Idee. Zusammen mit meinem Rad nehme ich Platz auf dem Seitenwagen des Motorrollers, den der Cafébesitzer in die Dorfmitte steuert, wo sich die Bikewerkstatt befindet. Doch auch dort finden wir keine Möglichkeit die Schraube zu öffnen.

 


Nach einigen vergeblichen Versuchen gebe ich das Okay zur finalen Maßnahme. Die Schraube muß rausgebohrt werden. Doch auch hier scheitern wir nach gefühlten 10 Minuten mangels Bohrkraft. Ich steige wieder auf den Beiwagen und halte mein Rad fest. Die Fahrt geht zurück zum Café. Doch wir biegen kurz davon links ab. In einer Werkstatthalle arbeiten zwei Thais. Der Cafebesitzer hat mittlerweile genauso viel Ahnung von meinem Exzenter und erklärt den beiden Arbeitern unseren Plan.

 


 

Schweres Bohrgerät wird aufgefahren und kurze Zeit später hat meine Fahrrad ein gewindeloses Bohrloch mehr und eine Inbusschraube weniger. Ich bedanke mich bei den Arbeitern, die sich sichtlich freuen, mir geholfen zu haben. Zurück im Café ist der Rest Konzentrationssache. Die Kette wird abgelängt, das Kettenschloß positioniert und mit einem kräftigen Zug an der Kette verankert. Danach spanne ich die Fahrradkette und drehe die restlichen zwei Schrauben so fest, daß ich sie auch wieder aufbekomme ;-), falls notwendig.

 


 

Zwei Stunden nachdem die Kette gerissen ist, bedanke ich mich bei dem Pärchen, die mir so selbstlos geholfen haben und verabschiede mich. Zu den 50 Baht für den Eiscafé packe ich nochmal 150 Bah drauf, als kleines "Danke schön". Sehr zur Freude des Pärchens.

 

Zurück auf der Straße genieße ich das surren der neuen Kette. Selbst die Knarzgeräusche, die ich dem Tretlager zugeschrieben hatte, sind nun komplett verschwunden. Die ersten Kilometer trete ich noch sachte in die Pedale, doch mit jedem Kilometer wächst mein Vertrauen in meine Handarbeit.

 

Kurz vor Cha-am finde ich eine Unterkunft und beende diesen Tag, vor dem ich mich so lange gefürchtet hatte.

 


 

Am Ende war alles wie immer.

 

Wenn Du Hilfe benötigst, wird Du sie bekommen. Überall auf der Welt. Von wildfremden Menschen. Selbstlos und selbstverständlich. Geben und nehmen heißt das Geheimnis.

 

Und ich gebe. Bereits am nächsten Tag. Einer Mutter und ihrem Kind, das nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen scheint. Doch das ist eine andere Geschichte...

 


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