Hilflose Polizei - dann halt "my way"

Die Nacht im Schlafwagenabteil des Zuges von Rangun nach Bagan beginnt bereits vielversprechend. Ist es bei der Abfahrt noch mehr als 30 Grad heiss, kuehlt es Stunde fuer Stunde immer mehr ab. Eine Randbedingung ,mit der ich nicht kalkuliert habe. Noch dazu bewegen wir uns gut 19 Stunden lang Richtung Norden. So lange benoetigt die Zugmaschine fuer die gut 520 km. Ich friere und der maennliche Teil des franzoesischen Paerchens, das mit mir das Abteil temporaer bewohnt, kotzt sich, beginnend kurz nach Mitternacht, bis in die fruehen Morgenstunden die Seele aus dem Leib. Die Seele deshalb, weil er spaetestens nach dem zweiten Mal, nichts mehr in seinen Eingeweiden gehabt haben duerfte. Er scheint an so etwas wie einer Seekrankheit fuer Schienenverkehr zu leiden. Im Anschluiss kommt der unvermeidliche, westliche "Etikette"-Schwachsinn: er entschuldigt sich auch noch dafuer. Wie wenn er Schuld daran haette...


Den Rest der Nacht friere ich mir zumindest eine Haelfte meines nicht kleinen Hinterteils weg, aber irgendwann hat alles ein Ende. Nur die Wurst hat zwei :-)


Gegen 10 Uhr 30 erreichen wir Bagan, ich hole mein Pferd aus dem Gepaeckwagen und bis ich alle Gepaecktaschen befestigt habe, sind alle anderen Touris bereits mit dem Bus auf dem Weg nach Bagan, denn der Bahnhofsvorplatz ist wie ausgestorben und ringsum ist nur Steppe. Also radel ich die Strasse vor bis zur T-Kreuzung. Meine Intuition laesst mich dann bei der naechsten Entscheidung im Stich. Oder sie ist noch eingefroren. Jedenfalls entscheide ich mich fuer links und dafuer, unfreiwillig mal wieder eine groessere Distanz zu radeln. Nach 90 Minuten steht dann fest: falsche Richtung. Umdrehen. Ich nehme es asiatisch gelassen, denn aendern laesst es sich nicht mehr.


In Bagan angekommen, schaue mir die ersten Pagoden an, entspanne in einem kleinen, netten Lokal zwischen den historischen, buddhistischen Bauwerken und fahre dann gegen 15 Uhr 30 weiter nach Neu-Bagan. Hier will ich noch nicht auf Quartiersuche gehen, denn Hilde hat mir ein Guesthouse in Nyaung-U, ein paar Kilometer weiter empfohlen. Zwischen Neu-Bagan, Alt-Bagan und meinem Zielort stehen mehr als 2.000 (!) Ziegelpagoden. So fahre ich gemuetlich an allen verfuegbaren Hotels, Ressorts und Gaestehaeusern vorbei, um zu meiner Wunschbleibe zu kommen. Und die ist ausgebucht!


Okay, dann nebenan: booked. Booked, booked, booked, booked... Ungefaehr 15 mal wiederholt sich diese Ansage. Mir wird langsam klar, dass es verdammt schwierig, wenn nicht sogar unmoeglich wird, eine legale Bleibe zu finden. Radelnd und fragend hangel ich mich den Weg zurueck, den ich gekommen bin. Dann endlich habe ich Glueck in einer Nobelherberge. "Wir haben genau noch ein Zimmer fuer Sie!" sagte die junge, huebsche Angestellte. "Really?" - "Yes. Only one room left. For you. 270 $". Dabei schaut sie mich von oben bis unten an - meine Hose duerfte mal wieder vor Dreck stehen - und laechelt sueffisant. Oder bilde ich mir das nur ein? Kurz ueberlege ich mir, wie sie wohl reagieren wuerde, wenn ich "okay" sagen wuerde. Aber Stolz ist ein schlechter Ratgeber und ich verabschiede mich hoeflich mit einem ehrlichen "thank you".


Zwischendurch wird mir durch Beobachten bewusst, dass Andere einfach alle Moeglichkeiten abtelefonieren. Aber da ich "old fashioned" unterwegs bin, habe ich mir keine Simkarte gekauft und geniesse es auch ehrlich in den letzten 4 Wochen nur einmal telefoniert zu haben, um mit meiner Ma zu sprechen.


Ich gebe auf und errinere mich an Rasht, eine Riesenstadt im Iran. Da war mir vor 6 Jahren dasselbe passiert. Am Ende hatte mich ein angetrunkener Iraner eingeladen und ich selbst bin damals auch nicht mehr nuechtern im Wohnzimmer seiner Nachbarsfamilie dankbar eingeschlafen.


Erstmal Abendessen, denke ich und steuer einen Inder an, den ich auf dem Hinweg wahrgenommen habe. Ausser mir ist nur eine andere Tourifamilie bei der Nahrungsaufnahme. Ich sortiere mich, spruehe mich mit "No Bite" ein und geniesse das Essen und ein kaltes Myanmar-Bier. Irgendwann frage ich den Chef nach einer Bleibe. Er faengt an zu telefonieren und beim dritten Anruf habe ich ein Zimmer. Fuer 90 Euronen. Okay. Dann fange ich an zu rechnen und abzuwaegen. Nein, dafuer kann ich 5 oder 10 Naechte woanders unterkommen. Dann kommt der entscheidende Tipp. Ich solle mich an die Touristenpolizei, im Gebaeude nebenan wenden. Ich bezahle und radel zu meinen "Freunden".


Denen erklaere ich, dass ich nur einen Platz in Ihrer Kaserne fuer mein Zelt benoetige. Doch das geht gar nicht. Man bedeutet mir Platz zu nehmen und die naechste gefuehlte halbe Stunde versucht man mich fuer die Verleihung des Myanmar-Oscars zu begeistern, der gerade im TV laeuft. Dass ich persoenlich TV fuer eine legale Foltermethode halte und fuer eine Beleidigung der Intelligenz, kann ich nur ganz schwer verbergen.


Dann kommt der "Cheffe". Auch er wirkt irgendwie ratlos. Er nimmt meine Personalien auf und trifft eine Entscheidung. Drei seiner Untergebenen bugsieren mich, mein Fahrrad und meine Packtaschen auf einen Polizei-Pickup. Mit bewaffneter Unterstuetzung beginnt die Quartiersuche Teil 2.


Doch schnell wird klar, dass tatsaechlich alles ausgebucht ist. Selbst die Polizei ist hilflos. Letzte denkbare Moeglichkeit aus Staatssicht: ein Kloster. Ich willige sofort ein, denn das wollte ich sowieso mal machen. Man bringt mich hin, hilft mir beim abladen und versichert mir: "no Problem".


Der erste Moench, den ich anspreche, sucht den Boden mit der Taschenlampe ab. Als er mir endlich seine Aufmerksamkeit schenkt, macht er den "Wischer" vor dem Gesicht, gemaess dem Motto "hast Du sie noch alle?". Etwas befremded ob der vermeintlichen Reaktion auf meine Frage nach einem Schlafplatz wende ich mich dem naechsten auffindbaren Moench zu und dessen Antwort ist klar "Nein."


Interessanter Abend, denke ich und nehme mein Leben wieder selbst in die Hand. Am Busbahnhof direkt vor dem Kloster wechsel ich Sandalen gegen Wanderschuhe und haenge mir die Stirnlampe um den Hals. Dann werde ich meine Ankuendigung, mit der ich die Polizei erschreckt hatte, eben in die Tat umsetzen und wild campen. Das ist in Myanmar verboten und jeder Bewohner ist angehalten Verstoesse unverzueglich der Polizei zu melden. Erst vor ein paar Tagen hatten mir ein paar Schweizer erzaehlt, man haette Backpacker am Strand beim campen erwischt. Die wurden noch in der Nacht in ein Hotel gebracht, das dann auch noch von der Polizei bezahlt wurde. Hauptsache alles unter Kontrolle.


Ich radel aus dem Dorf raus und nach einer guten halben Stunde habe ich einen Platz gefunden, der von der Strasse aus im Dunkeln liegt. Vorsichtig taste ich mich Schritt fuer Schritt durch das Dornengeflecht am Boden und hoffe auf keine Schlange zu treffen bzw. zu treten. Viele von Ihnen sind tagsueber im Inneren der kuehlen Pagoden anzutreffen. Links von mir sehe ich ein paar zusammenstehende Palmen. Da in der Naehe ein Hund bellt und ich ein Licht brennen sehe, entscheide ich mich die Stirnlampe nicht zu benutzen, um mich nicht zu verraten. Der Platz ist gut. Die naechste halbe Stunde versuche ich mich an die Einzelheiten meines Zeltes zu errinnern und als dann endlich das Moskitozelt steht, bin ich erleichtert, verschwitzt und muede. Notduerftig reibe ich mich mit einer Socke und etwas Trinkwasser ab - duschen faellt heute aus.

Ein paar Minuten hoere ich noch wie in der Palme ueber mir gearbeitet wird. Dann schlafe ich mit der schwaecher werdenden Befuerchtung ein, im Schlafe von einer herabfallenden Kokosnuss erschlagen zu werden.


P.S. Bin seit heute wieder in Rangun und werde mich morgen zum letzten Mal fuer dieses Jahr melden ;-)







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Kommentare: 7
  • #1

    johannes (Dienstag, 30 Dezember 2014 13:42)

    Hau Rein Dirk, und Gesundes Neues! Grüße JF

  • #2

    Schätzle (Dienstag, 30 Dezember 2014 14:45)

    pass auf Dich auf ;-) und rutsch gut rüber ins Neue Jahr ...

  • #3

    Peter (Dienstag, 30 Dezember 2014 16:54)

    Einen guten Rutsch und viel Glück beim erkunden
    Grüße aus dem kalten Deutschland

  • #4

    Steff (Dienstag, 30 Dezember 2014 17:34)

    Einen Guten Rutsch!!
    Grüssle aus dem verschneiten Stuggi!

  • #5

    Schorsch (Dienstag, 30 Dezember 2014 20:24)

    Ich wünsche dir ein gutes neues Jahr.
    Und noch viel spass

  • #6

    Stefan (Dienstag, 30 Dezember 2014 23:28)

    Alles Gute für 2015...:-)

    Grüssle
    aus dem Scharnhauser Park
    S.=)

  • #7

    Dirk Blume (Donnerstag, 08 Januar 2015 05:49)

    Danke ! Euch auch ALLEN!