"Abgeschossen", zwei Nächte bei der Polizei und Maden zum Abendessen


Diesmal liefert das Karma sofort.

 

Gerade bin ich dabei, mich in einem Baustellenbereich Meter für Meter die super steile, neue Trasse hoch zu kämpfen, als hinter mir ein Motorroller mit zwei thailändischen Frauen angeknattert kommt.

 

Keine 30 Meter vor mir, schauen mir ein paar Bauarbeiter interessiert bei meinem Kampf zu. Jetzt habe ich den schmalsten Bereich der Straße erreicht, hier ist es einspurig. Die neue Fahrbahn besteht nur aus feinem Schotter. Ich muss zum letzten Hilfsmittel greifen und Serpentinen fahren, wo keine sind.

 

Das führt dazu, dass ich die ganze Straßenbreite benötige. Am Fahrbahnrand wende ich abrupt und steuere die entgegengesetzte Fahrbahnbegrenzung an.

So gewinne ich Höhenmeter um Höhenmeter. Ein Vorgang, den das menschliche Gehirn durchaus vorausberechnen kann.

 

Die junge Thailänderin, die den Roller fährt, ist dazu allerdings nicht in der Lage. Sie hält stur ihre Fahrtrichtung bei. Kerzengerade. Direktlinie nach oben. Dass sie mich nicht noch am Hinterrad erwischt, ist ein Wunder. Wie kann man so dumm sein, frage ich mich und fluche still in mich hinein.

 

Doch das hätte ich mal besser nicht gemacht.

 

Denn wenige Minuten später, ich bin immer noch in diesem schmalen Straßenstück zugange, kommt sie, diesmal alleine, von oben auf mich zu.

Es passiert, was passieren muss.

 

Wieder ändert sie nicht einen Millimeter ihren Kurs und rauscht mit blockierten Bremsen seitlich in mich rein.

 

Ich stürze samt Fahrrad. Über und über mit Staub bedeckt und voller Adrenalin stehe ich brüllend auf und beschimpfe die junge Frau. Einer der Straßenarbeiter kommt mir zur Hilfe, gemeinsam richten wir mein Rad wieder auf. Dann schaue ich an mir runter und sehe nur die Farbe dunkelrot unter dem Staub, der mein linkes Knie bedeckt.

 

Oh nein. Nur keine Infektion riskieren, das ist mein erster Gedanke.

 

Schnell greife ich zur Wasserflasche und übergieße mein Knie damit.

Mit den Fingern reinige ich die Wunde so gut es vor Ort geht.

Verbandszeug und Desinfektionsmittel habe ich nicht dabei.

Aus Gewichtsgründen.

Clever gell?

 

Ich bedanke mich bei den Bauarbeitern und weiter geht es Meter für Meter, bis ich den Pass erreicht habe. Die nächste Abfahrt ist so steil, dass ich sie bremsend bis zur Hälfte hinunter fahre und dann erst die Bremsen öffne.

 

Ich möchte nicht auch hier noch stürzen und mich großflächig aufschürfen.

 

Mein Knie ist leicht blau und leicht geschwollen, aber da mir sowieso nichts anderes übrig bleibt, pedaliere ich weiter. So kann mein Knie schon nicht so stark anschwellen, denke ich. Etwas später hoffe ich nur noch, dass die Staubpiste bald zu Ende ist, damit meine offene Wunde nicht wieder verschmutzt wird.

 



 

An dieser Stelle ist es an der Zeit, ein großes "Danke schön" an alle Bauarbeiter dieser Welt auszusprechen. Sie sorgen dafür, dass wir auf so tollen Straßen unterwegs sein dürfen. Die Jungs und Mädels (in Asien!) da draußen machen so einen harten Job, egal ob bei sibirischer Kälte oder tropischer Hitze.

 

Als Radfahrer bekommt man das so hautnah mit, wie kein anderer.

Deswegen halte ich auch oft an, wechsle ein paar Worte mit diesen fantastischen Arbeitern und bedanke mich für ihr Tun. Chapeau!

 

Die Burmesen unter ihnen erkennt man immer ganz gut an der Thanaka-Bemalung eines Teil ihres Gesichtes.

 



 

Zwei Tage zuvor, am Dienstag, dem 1. November, starte ich in Tha Song Yang (das südliche) gut ausgeruht und nach einem Frühstück mit sechs Scheiben Marmeladentoast, in den Tag. Auf dem kleinen Markt kaufe ich reichlich süßes Gebäck und radle los.

 



 

Das Tagesziel heißt Mae Salit Luang. Dort soll es eine tolle Unterkunft am Fluß geben. Im Blog eines canadischen Radlerpärchens (www.travellingtwo.com) habe ich das zumindest gelesen. Die dreiunddreißig Kilometer sind schnell bewältigt. Kein Wunder. Das radeln in solch einer wunderschönenen Natur macht einfach unglaublich Spaß.

 



 

Im Ort angekommen, esse ich in einem Straßenlokal zu Mittag und radle dann weiter Richtung Ortsende. Da links, den steilen Weg runter, da müssen die einfachen Hütten sein. Ein Hund kommt mir bellend entgegen. Ich ignoriere ihn.

 

Ein Thai taucht auf. Auf meine Nachfrage hin zeigt er auf zwei Hütten. Dreißig steile Treppenstufen tiefer gelegen. Das gefällt mir jetzt nicht so. Denn immer das Rad samt Gepäck runter und wieder raufschleppen, das versuche ich zu vermeiden.

 

Ich steuere die erste Hütte an. Die Aussicht auf der halbmorschen Veranda ist grandios. Geschätzte zwanzig Meter über dem Fluß. Ich will in die Hütte. Doch die ist abgeschlossen. Also laufe ich hinüber zur zweiten Hütte. Gefällt mir noch besser, ist aber auch zu gesperrt.

 

Der desinteressierte Thai ist nicht mitgekommen. Also rufe ich nach oben. Kurz danach kommt er mit dem Schlüssel für die zweite Hütte zurück. Drinnen angekommen, bin ich nicht so richtig überzeugt. Er will 400 Baht (10,34 €) dafür.

 

Mein Angebot lautet 300 Baht (7,76 €). Er lehnt ab. 350 Baht? Nein, er ist nicht bereit zu handeln. Blöd nur, dass ich von www.travellingtwo.com weiß, dass die beiden Canadier 250 Baht bezahlt haben.

 

Okay. Mein Gefühl sagt mir: dann eben nicht.

 

Schnell ändere ich meinen Plan. Am Grenzfluss zu Myanmar entlang, bis zum letzten Dorf, bevor es hoch in die Berge geht. Bin gespannt, wo ich dort dann Campen kann.

 



 

Ban Tha Song Yang, noch ein Dorf mit demselben Namen, wie das Dorf, von dem ich heute morgen gestartet bin. Nur deutlich ruhiger und eben 60 km weiter nördlich. Am Dorfende, kurz vor dem großen Polizei-Checkpoint kaufe ich reichlich Wasser. Auf dem Weg zurück zum Highway 105 kommt mir eine Idee.

 

Wie oft habe ich schon davon gelesen? Selbst im Vipassana-Meditation-Center habe ich den Tipp bekommen. Also werde ich das jetzt mal testen. Bin so richtig in Laune dafür. Zurück auf dem Highway steuere ich sofort den Checkpoint an und frage, ob ich nach dem Ort irgendwo wild zelten kann. Dabei zeige ich Richtung Berge.

 

"No", lautet die Antwort. "Police-Station". Dabei zeigt mein Gesprächspartner Richtung Dorfmitte. "Really?" frage ich zurück. "Yes, yes"..."Police-Station".

 

Bingo. Das war ja einfach. Keine lange Diskussionen, scheint echt zu funktionieren. Immer wieder nach dem Weg fragend, nähere ich mich dem Polizeiquartier. Na dann...

 

Dort angekommen, ist weit und breit keine Menschenseele zu sehen.

Vor einem abgedunkelten Raum stehen ein paar Schuhe. Drinnen läuft ein Fernsehgerät. Ich rufe. Die Tür öffnet sich. Ein junger Polizist schaut mich fragend an. "Can i pitch my tent there?" frage ich und zeige Richtung Fluss.

 

"Yes", lautet die schnelle und knappe Antwort.

Er will weiter TV schauen. Gerne;-)

 

Gesagt. Getan.

 

An einem der schönsten Plätze, an denen ich jemals gezeltet habe.

 



Nach dem erfolgreichen Aufbau meines Zeltes frage ich nach einer Wasch- oder Duschmöglichkeit. Auch das wird mir gewährt. Kostenlos versteht sich.

 

Der junge Polizist führt mich zur Duschtoilette.

 

Die riecht so, wie sie aussieht. Eine Nasszelle zum urinieren und duschen. Kurz halte ich inne. Dann kommt wieder die Erinnerung.

 

IDC Prison Bangkok. Bucketshower.

 

Draussen vor der kleinen Hütte entkleide ich mich bis auf die Unterwäsche und lege mir frische Kleidung bereit. Mit einem großen Handtuch bewaffnet, betrete ich kurz darauf den Raum und schöpfe mit einer Kelle Wasser aus dem Becken.

 

Vorsichtig gieße ich es mir über den Kopf. Einfach herrlich !!!

 


 

Lange sitze ich noch auf einer Steinplatte direkt vor meinem Zelteingang und schaue hinüber nach Burma, winke vorbei fahrenden Menschen in ihren Booten zu und genieße einfach hier zu sein, an diesem wunderbaren Ort.

 

Selbst gewähltes Schicksal? Kharma? Annica.


Am nächsten Morgen wache ich zeitig auf, packe meine sieben Sachen und mache mich auf den Weg. Alles richtig gemacht, denke ich, als ich gerade am Checkpoint vorbei bin.

 

Der erste Anstieg hat es gleich in sich. Weitere folgen im Laufe des Tages.

Steil, steiler, super steil.

 

Dort, wo es in Europa kurz erholsam wird, wird es in Thailand nahezu unfahrbar. Zumindest für Radfahrer. Statt flacher 180-Grad-Spitzkehren, gibt es hier Steilwandkurven.

 



 

Doch die Krönung ist heute ein Straßenabbruch. Zu meinem Glück ist der Bereich markiert. Bergauf ist der Blick ja dann doch oft nur direkt vor dem Vorderrad. Kann ausreichen, muss aber nicht.

 



 

Tolle Geschichte, die an diesem Tag auch passiert:

 

Ein junger Thai fährt ziemlich langsam und zögernd an mir vorbei, was mich meistens nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Doch der hält am Scheitelpunkt eines Anstiegs auch noch an.

 


Als ich das Auto erreicht habe, lehnt er sich aus dem Fenster, schaut mich unsicher an und fragt mich, ob ich Wasser benötige. Dabei streckt er mir eine eiskalte 0,5-Liter-Flasche entgegen. Freudestrahlend entgegne ich "for sure", nehme die Wasserflasche entgegen und trinke sie gierig in einem Zug leer.

 

"You need more water?"

 

Klar, auch die große, eisgekühlte Flasche wandert in meinen Besitz.

Wir unterhalten uns kurz, machen eine Foto, tauschen unsere Facebookadressen, ich bedanke mich und weiter geht´s.

 


 

Nach mühevollen und anstrengenden 40 Kilometern und 1.350 Höhenmetern taucht nach einer weiteren Rampe und der darauf folgenden Kurve plötzlich wieder mal seit langem ein Dorf auf. Essen ist angesagt. Und zwar dringend. Nur noch schnell die Rampe runter rasen und schon ändere ich meine Meinung.

 

Ein Checkpoint!

 

Es ist zwar erst kurz nach 15 Uhr, aber für heute habe ich echt genug. Das Knie will ich mir auch noch einmal in Ruhe ansehen. Ja, die Entscheidung steht und die drei Polizisten heißen mich ohne Umschweife willkommen.

 

Anfangs haben wir noch ein paar Verständigungsprobleme, aber die geben sich mit der Zeit. Ich habe ein Zelt und das ist das Wichtigste. Der erste Platz, der mir angeboten wird, ist zu sandig. Ich suche mir einen besseren.

Die Drei widersprechen mir nicht.

 



 

Kaum beginne ich mit dem Aufstellen des Zeltes habe ich schon wieder einen neuen, vierbeinigen Freund gewonnen. Die Hunde mögen mich und ich mag die Hunde. So einfach ist das.

 

Doch der hier ist wohl mein tierisches Ebenbild. Das wird der nächste Tag zeigen.

 


 

Wiederum darf ich, diesmal in einer blitzsauberen Nasszelle, duschen.

 

Anschließend säubere und desinfiziere ich meine noch frische Schürfwunde am Knie. Kurz darauf, ich genieße gerade meinen Feierabend, werde ich zum Abendessen eingeladen. Die drei Cops haben gekocht.

 

Hinter ihrer Checkpointhütte haben sie eine offene Küche und einen wunderbaren Essplatz mit Blick in den Dschungel eingerichtet.

 

Auf der Speisekarte stehen an diesem Abend:

 

  • Reis
  • Omelett
  • scharfe Soße
  • frittierte Maden

 

Da lasse ich mich nicht zweimal bitten. Zweimal wird mein Teller gefüllt und von mir wieder leer geschaufelt. Nur für die Maden ist dann kein Platz mehr. Wie schade...

 



 

 

Man merkt, die Drei leben und arbeiten hier sehr gerne. Und der Chef, 44 Jahre alt, ist penibel. Was die Herren putzen und machen, während ich dort bin, das ist schon aller Ehren wert.

 

Zur Krönung des Abends wird mir noch eine eiskalte Dose Cola spendiert. Unglaublich, wie man sich über solche Dinge freuen kann!

 

Dann schlüpfen die Jungs in ihre Uniformen, hängen sich ihre Schießgewehre um und gehen kontrollieren. Scheint eine Nachttätigkeit zu sein. Eine Weile setze ich mich noch vorne zu ihnen an die Straße, schlürfe meine Coke und schaue ihnen bei der Arbeit zu. Beziehungsweise beobachte ich sie dabei, wie sie auf ihre Smartphones starren.

 

Wieder ist am Ende des Tages alles gut.

 

Ich lebe noch.

Ich habe gegessen und getrunken.

Ich habe einen sicheren Schlafplatz.

Ich habe Zeit - halt, stop, das ist schon Luxus...

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Stefan (Ostfildern) (Samstag, 05 November 2016 15:57)

    Dirk,
    checkpoint camping.....und lecker Essen mit den cops, echt brilliant, weiter so......:-)
    Lieben Gruß
    Stefan =)