Wenige Minuten nachdem ich mich von den Geiern verabschiedet habe, heißt es absteigen. Die Piste wird zu steil und zu sandig. Vor mir sehe ich lediglich einen Teil der Serpentinen, die es zu
bezwingen gilt. Die Landschaft wird immer bizarrer, die Abgründe immer tiefer und die Ruhe wird nur ab und zu durch den Wind oder das Schreien eines Raubvogels unterbrochen.
Schiebend bewege ich mich eine gefühlte Ewigkeit, Meter für Meter vor- und damit aufwärts Richtung Dajori La Pass (3.725m). Es ist unheimlich mühsam, in kleinen Schritten, das schwere Bike samt
Gepäck so zu bewegen. Dann lieber in Zeitlupe pedalieren. Aber das läßt das Gelände nicht zu. In jeder Kehre mache ich eine kleine Fotopause oder setzen mich einfach nur auf irgendeinen
Felsblock, genieße die Ruhe, die Natur und die Aussicht. Anschließend begutachte ich den nächsten kurzen, oft nur 50 m langen Abschnitt, nach dessen erfolgreicher Bewältigung ich erneut eine
Verschnaufpause einlege.
Doch steile Pisten haben auch einen Vorteil: man gewinnt schnell an Höhe. Das wird mir jedes Mal klar, wenn ich nicht ohne Stolz zurückschaue.
So geht es ungefähr eine Stunde lang stetig bergauf. Die Berge rechts und links ragen immer steiler neben mir auf bis es plötzlich vor mir heller wird. Die Schlucht ist zu Ende. Bin ich bereits
oben auf der Passhöhe angekommen? Nein, noch liegt ein letzter Teilabschnitt vor mir. Der aber hat es in sich.
Staubkornfeiner Sand. Zu tief um wieder aufzusteigen und zu pedalieren. Und noch mühsamer schiebend zu bewältigen. Noch häufiger lege ich eine kurze Pause ein. Oft bereits nach 10 Metern. Bei
jedem Stopp motiviere ich mich, indem ich mir ein neues Ziel suche. 20 Meter weiter. Habe ich es erreicht, zwinge ich mich nochmals 10 Meter draufzupacken.
Irgendwann habe ich es dann geschafft. Ein überwältigendes Panorma belohnt mich für den hinter mir liegenden Anstieg. Auf mehr oder weniger ebener Staubpiste geht es weiter Richtung Samar. Kurz
vor der kleinen Ansiedlung treffe ich wieder auf Ratna, meinen Guide und die anderen Wanderer. Sie haben wieder einen deutlich kürzeren Pfad genutzt, dafür haben sie meine Geier verpasst.
In einem Teehaus stärke ich mich mit Vegetable Chowmein. Während ich auf mein Essen warte, wärme ich mich vor dem Teehaus ein wenig in der
Mittagssonne und unterhalte mich mit ein paar nepalesischen Portern. Wie so oft sind sie sehr an meinem Rad interessiert und so dauert es nicht lange, bis sie einmal damit fahren wollen. Gerne
willige ich ein, denn es ist immer wieder ein Heidenspaß zu sehen, wie sich die doch oft kleinen Menschen mit meinem "Riesenrad" schwertun. An Sitzen ist nicht zu denken.
Nach dem Mittagessen erklärt mir Ratna meinen Weg. Er nimmt eine Abkürzung durch´s Dorf. Hinter Samar wartet ein weiterer Anstieg auf uns. Der letzte für heute, denke ich, doch ich liege richtig
daneben. Wieder ist an Fahren nicht zu denken. Den nächsten Pass in der Ferne vor Augen gehe ich die nächste Etappe an. Es sind wohl nur 300 Höhenmeter. Nur...
Plötzlich kippt die Geröllpiste vor mir fast in die Senkrechte. Kurz zuvor war ich auf drei parkende Jeeps mitten im Nirgendwo gestossen.
Schritt für Schritt taste ich mich langsam die lose Piste hinunter. Klar, jetzt weiß ich auch warum die Jeeps oben stehen. Die kommen hier weder runter noch rauf.
Unten angekommen, bin ich gespannt wie es weiter geht. "Landslides" sind ein großes Problem in Nepal. Immer wieder werden Straßen von abrutschenden Landmassen verschüttet. Ist das hier auch der
Fall?
Mein Blick wandert den Bach abwärts. Klar, irgendwo muß die Piste ja weiterführen, denke ich. Und tatsächlich nach gut 20 Metern ist sie am Hang erkennbar.
Also ab durchs Bachbett, ein bißchen nasse Schuhe bekommen und schon wartet die nächste unfahrbare Rampe auf mich. Meter für Meter schiebe ich mein Bike vor mir hoch. Ziehe immer wieder die Vorderbremse, um mich am Lenker weiter noch oben zu ziehen.
Endlich wird der Weg wieder fahrbar. Noch ein paar kleine Gegenanstiege und ich bin auf der Passhöhe. Doch welch Schock! Am gegenüberliegenden Berg erkenne ich weitere Serpentinen. Unten im Tal
vor mir scheint ein Teehaus zu sein. Jeeps stehen davor. Ich rase ihnen entgegen, muß aber immer wieder stark abbremsen um rechtzeitig zum stehen zu kommen.
Am Teehaus angekommen, frage ich, ob ich für heute am Ziel bin. Doch zu meiner Enttäuschung wird mir lachend klar gemacht, daß der nächste Anstieg auch noch zu bewältigen ist. Der Kampf geht
weiter. Wieder mehr schiebend als fahrend quäle ich mich dem dritten Pass an diesem Tag entgegen.
Es ist bereits später Nachmittag als ich endlich oben bin. Ein paar Minuten genieße ich die großartige Aussicht und freue mich tierisch, daß ich es irgendwie mal wieder geschafft habe. Fotos der
Landschaft und von mir werden geschossen.
Dann rolle ich Richtung Abfahrt, werde schneller und schneller, bis es mir etwas zu holprig wird und ich die Bremsen ziehe. Doch die greifen nicht. Zumindest nicht so, wie ich es mir vorstelle. Ich werde nicht langsamer.
In meiner Not bleibt mir nichts anderes mehr übrig, als nach links Richtung Hang zu lenken und einen Behelfssturz herbeizuführen. Seitlich komme ich unter dem Bike zum liegen. Stehe auf und prüfe die Bremsen. Justiere sie neu. Fahre wieder an und merke sehr schnell, daß die Bremsen wieder versagen. Verglast vermute ich. Bei der letzten Abfahrt zu lange auf der Bremse geblieben.
Der Wind pfeift. Es wird kälter. Einige Serpentinen weiter unten sehe ich die Anderen abwärts laufen. Ich habe keinen Nerv, mich jetzt noch hier oben mit meiner Bremsanlage eingehend zu beschäftigen. Ich bin platt wie eine Flunder, will was zu essen und in meinen warmen Schlafsack.
Folglich treffe ich die Entscheidung zu laufen. Mein Bike bergabwärts zu schieben. So schwer es mir auch fällt.
Was für ein superanstrengender Tag und was für ein bescheidener Abschluß.
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